Der Wolfsthron: Roman (German Edition)
aus.
Ich bin noch nicht so weit, um Königin zu sein, dachte Raisa und zitterte. Ich bin noch nicht so weit, es mit all diesen rücksichtslosen Menschen aufnehmen zu können. Ich bin noch nicht so weit, um als Herrscherin der Fells mit so hohem Einsatz zu spielen.
»Liam ist zum König gekrönt worden, aber er konnte es nicht lange genießen«, erzählte Amon. »Zwei Tage später hat Montaigne die Verteidigungsmauern durchbrochen, und danach … danach folgte ein Massaker.« Amon schloss die Augen. Die Wimpern ruhten dunkel auf seinen blassen Wangen.
»Wie bist du davongekommen?«, fragte Raisa. »Und – und was ist mit den übrigen Grauwölfen?«
»Die Menschen in Tamron sind verweichlicht, und die Ardener wissen das«, sagte Amon. »Sie sind nicht daran gewöhnt, um ihr Leben zu kämpfen. Die Ardener hatten vor allem zwei Dinge im Sinn – dich und die Tomlins gefangen zu nehmen und alles zu stehlen, was nicht niet- und nagelfest war. Sie haben alle abgeschlachtet, die ihnen in die Quere gekommen sind.« Amon fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht, als wollte er die Erinnerung beiseitewischen.
»Also hat jeder von uns nach einem ardenischen Soldaten Ausschau gehalten, der ungefähr unsere Größe hatte, ihn getötet und ihm die Uniform abgenommen. Da wir alle auf der Akademie waren, sprechen wir die Sprache gut genug, um als Ardener durchgehen zu können. Wir sind ihnen durch die Lappen gegangen, während sie anderweitig beschäftigt waren. Danach haben wir uns nach Nordosten gewandt, Richtung Swansea, weil wir wussten, dass die Straßen nach Fetterford und Odenford scharf beobachtet wurden.
Aber das Schlimmste – das Schlimmste war das Wissen, dass du in Schwierigkeiten stecktest. Ich wusste, dass du in Gefahr warst. Ich wusste, dass du im Sterben gelegen hast, und ich konnte nichts tun, um zu dir zu kommen.« Er schluckte schwer. »Ich konnte dich nicht erreichen. Du kannst dir nicht vorstellen … wie das gewesen ist.« Seine Stimme zitterte.
Raisa erinnerte sich an Amons Stimme in ihrem Kopf. Du darfst mir nicht sterben, Rai. Bleib am Leben. Bleib am Leben. Bleib am Leben.
»Ich glaube, dass dein Vater eine Vorahnung gehabt hat«, sagte Raisa. »Es war fast so, als hätte er gewusst, was von ihm verlangt werden würde, und als hätte er sich bewusst geopfert.«
»Ich hätte an seiner Stelle sein sollen«, erwiderte Amon und tupfte sich die Augen mit dem Ärmel ab. »Ich bin dein Hauptmann. Ich bin verantwortlich für deine Sicherheit.«
»Du bist verantwortlich für das Grauwolf-Geschlecht! Das Geschlecht kommt zuerst, nicht die einzelne Königin. Dein Vater hat dem Geschlecht gedient. Und ich brauche dich, Amon. Ich brauche einen Hauptmann. Wenn ich aus diesem ganzen Mist ein Königinnenreich aufbauen soll, brauche ich einen Menschen, dem ich trauen kann. Ich brauche dich lebendig, verstehst du?«
Raisa lehnte ihren Kopf wieder an seine Schulter. Eine ganze Weile sagten sie nichts.
»Wo ist das Wolfsrudel?«, fragte Raisa dann. Was von ihm noch übrig ist, fügte sie im Stillen hinzu.
»Sie werden in der Stadt gerade der Wache der Königin zugeteilt«, antwortete Amon. »Sie warten auf Anweisungen. Ich hoffe, das sie uns frühzeitig vor irgendwelchen Plänen der Gegenseite warnen können.«
»Wenn Mellonys Krönung geplant ist«, sagte Raisa, »was wird man dann wohl tun, um einen Hauptmann für die Wache der Königin zu bekommen?«
»Hmm«, machte Amon und runzelte die Stirn. »Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Von unserer Verbindung wissen nur meine Familie und die Tempelredner. Mellony und die Bayars haben davon bestimmt keine Ahnung.«
»Es ist immer ein Byrne gewesen«, sagte Raisa. »Sie werden alles so normal wie möglich aussehen lassen wollen. Sie werden keinen Anlass dazu liefern wollen, dass die Nachfolge in Frage gestellt wird. Abgesehen von dem bereits vorhandenen, meine ich.«
Amon drehte seinen Kopf herum und sah sie an. »Was willst du damit sagen?«
»Ich will damit sagen, dass du nicht überrascht sein solltest, wenn sie dir diese Position anbieten«, erklärte Raisa. »Wenn es tatsächlich so weit kommt.«
»Nein.« Amon schüttelte den Kopf. »Es ist unmöglich, dass sie mich als Hauptmann für Mellony wollen könnten. Sie werden jemanden auswählen, der formbarer ist.«
»Wir werden sehen«, entgegnete Raisa. »Sie wissen nicht, dass du bereits zu meinem Hauptmann ernannt worden bist. Und sie sind daran gewöhnt, mit deinem Vater zusammenzuarbeiten. Du bist
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