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Der Wolfsthron: Roman (German Edition)

Der Wolfsthron: Roman (German Edition)

Titel: Der Wolfsthron: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cinda Williams Chima
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Weidenrindentees, den sie getrunken hatte. Jedes Mal wenn sie die Augen schloss, tauchten Szenen aus der Vergangenheit auf, Handlungen, die sie rückblickend und mit ihrem jetzigen Wissen gern ungeschehen gemacht hätte. Sie lag auf dem Bauch, Tränen benetzten das Kissen, und in ihrer Mitte fühlte sie nichts als ein riesiges, schmerzendes Loch.
    Sie hörte, wie Amon sich auf seiner Pritsche am anderen Ende des Raumes hin und her wälzte.
    Schuld und Kummer hingen bleiern in der Luft und schienen sie beinahe zu ersticken; das Atmen fiel ihr schwer. Nein. Sie konnte nicht – würde nicht – zulassen, dass Amon sich quälte.
    Sie setzte sich auf und lehnte sich vorsichtig mit dem Rücken an die Wand. »Amon?«, flüsterte sie. »Bist du wach?«
    »Ja. Brauchst du etwas?«, erklang seine Antwort in der Dunkelheit.
    »Setzt du dich zu mir? Bitte.«
    Sie hörte, wie seine Pritsche quietschte, als er sich aufsetzte, hörte, wie er die Füße auf den Boden stellte. Er kam zu ihr und setzte sich mit einigem Abstand neben sie. Ihre eigene Pritsche sackte bei seinem zusätzlichen Gewicht nach unten. »Alles in Ordnung? Soll ich Willo holen?«
    Raisa schüttelte den Kopf. »Wir können beide nicht schlafen, und wir leiden beide unter einem schweren Verlust. Ich möchte so gern mit dir sprechen.«
    »Bist du dir sicher, dass es dir guttut?«, fragte Amon. »Willo sagte, dass du dich ausruhen sollst.«
    »Ich glaube, reden würde mir im Moment am meisten helfen.« Raisa klopfte auf die Pritsche. »Komm. Lehn dich hier an die Wand.«
    Amon glitt zum Kopfende der Pritsche und ließ sich dort dicht neben ihr nieder, während er versuchte, es sich einigermaßen bequem zu machen.
    Sie nahm seine Hand und umschloss sie sanft mit ihren beiden Händen. »Lass es sein«, sagte sie. »Hör auf damit, dir die Schuld zu geben.«
    Für eine Weile herrschte Stille. »Wie kommst du darauf, dass ich mir die Schuld gebe?«, fragte er dann.
    Er war immer noch ein schrecklich schlechter Lügner.
    »Weil ich dich kenne. Aber wenn irgendjemand die Schuld an alldem hat, dann bin ich das.«
    Er fuhr sich mit der freien Hand durch die Haare. »Wieso solltest du dir die Schuld geben? Nichts von alldem ist dein Fehler.«
    »Ach nein? Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.« Raisa biss sich auf die Unterlippe. »Wenn ich die Fells nicht verlassen hätte, wäre nichts von alldem passiert. Meine Mutter würde noch leben und auch dein Vater und all die Wachen, die gestorben sind, als sie mich verteidigt haben.« Sie erzitterte. »Wenn ich zu Hause geblieben wäre, hätten wir unsere Auseinandersetzungen vielleicht beilegen können.«
    Amon dachte darüber nach. Sie wusste es zu schätzen, dass er nicht sofort versuchte, ihre Worte zu bestreiten. »Na ja«, sagte er, »du konntest ja nicht wissen, wohin das alles führen würde.«
    »Du konntest es nicht wissen«, erwiderte Raisa. »Ich hingegen besitze angeblich die Gabe der Prophezeiung. Wieso konnte ich nicht sehen, wie alles enden würde?«
    »Prophezeiungen funktionieren nicht auf diese Weise«, erklärte Amon. »Selbst dann, wenn die Leute ihre Zukunft sehen können, verstehen sie sie nicht oder glauben sie nicht – oder sie machen die Augen zu.«
    Für ein paar Augenblicke saßen sie schweigend da. Dann sagte Amon: »Seit du aus Odenford verschwunden bist, frage ich mich, was passiert ist. War es Micah?«
    »Lord Bayar hat vier Attentäter nach Odenford geschickt, die mich umbringen sollten. Micah hat mir eine Alternative angeboten – ihn stattdessen zu heiraten. Also habe ich zugestimmt.«
    In Amons grauen Augen dämmerte die Erkenntnis. »Dann hat also Micah die Attentäter getötet?«
    Raisa nickte.
    »Oh«, sagte Amon. »Damit ist ein Rätsel gelöst. Das war eine Sache, die wir einfach nicht nachvollziehen konnten – wer sie mit Magie getötet haben könnte.«
    »Na ja«, sagte Raisa und lehnte sich an ihn, »ich habe es geschafft, einen von ihnen selbst zu töten.« Das alles schien jetzt endlos weit zurückzuliegen, sozusagen am anderen Ufer eines aufgewühlten Meeres von Ereignissen. »Wir waren unterwegs nach Norden, als wir auf Gerard Montaignes Armee gestoßen sind. Die Soldaten waren auf dem Weg nach Tamron. Dann ist eine Patrouille aus Tamron aufgekreuzt, und im anschließenden Durcheinander bin ich geflüchtet.«
    »Ich wusste, dass du nach Norden gegangen bist«, sagte Amon. »Ich konnte es fühlen. Da man dich während des Scharmützels gesehen hat, bin ich davon ausgegangen,

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