Der Wolfsthron: Roman
sie sich erschreckt, und sah den Hohemagier mit ungewöhnlich glänzenden Augen an.
»Worum geht es, Eure Hoheit?«, fragte Bayar und beugte sich vor, um nach dem Brief zu greifen. »Vielleicht können wir ein bisschen Licht ins …«
»Hier, Lord Bayar«, sagte Raisa und schob ihm die Blätter entgegen. »Wieso lest Ihr nicht laut vor, damit die anderen es auch hören können?« Sie lehnte sich zurück und umfasste die Stuhllehnen mit beiden Händen.
Bayar überflog rasch das Geschriebene, dann sah er Raisa an, als suchte er in ihrem Gesicht nach Hinweisen darauf, wie sie darüber dachte.
Schließlich räusperte er sich, neigte den Kopf über den Brief und begann zu lesen.
KAPITEL ACHTUNDZWANZIG
Liebesbrief aus Arden
A n Ihre Majestät Königin Raisa von den Fells
Ich schreibe diesen Brief in der glühenden Hoffnung, dass er Euch wohlbehalten vorfindet, und möchte Euch meine Glückwünsche zu Eurer bevorstehenden Krönung übermitteln.
Bitte nehmt auch mein Beileid zu dem plötzlichen und doch zeitlich so bemerkenswert passenden Tod Eurer Mutter, Königin Marianna, an. Es ist nur zu bekannt, dass die Verbindung zwischen Euch und Eurer Mutter in der letzten Zeit etwas beeinträchtigt war. Ihr Unfall, so tragisch er auch sein mag, hat ein wesentliches Hindernis auf Eurem Pfad beseitigt. Es sieht so aus, als würdet Ihr – ebenso wie ich – nicht zögern, die Ereignisse zu Eurem Vorteil zu beeinflussen. Dies bestärkt nur meine Ansicht, dass wir natürliche Verbündete sind und darüber hinaus noch sehr viel mehr sein könnten.
»Beim Blute des Dämons!«, fluchte Averill.
Dies war eindeutig keine Nachricht, die im Beisein anderer laut vorgelesen werden sollte.
Oder vielleicht doch?
Han musterte Raisa. Sie wirkte immer noch versteinert, bis auf das schwache Interesse in ihrer Miene, mit dem sie die Gesichter der anderen beobachtete.
»Tochter«, sagte Averill. »Auf diese Art von Verunglimpfung solltest du nicht eingehen. Die Vorstellung, dass du mit dem Tod deiner Mutter etwas zu tun haben könntest, ist einfach lächerlich.«
»Und doch verdächtigen mich viele«, antwortete Raisa. »Besonders außerhalb der Fells.« Sie gab Bayar ein Zeichen. »Lest weiter.«
Es wird einige Zeit dauern, die Ordnung in Tamron wiederherzustellen und das Königreich von Spionen und verräterischen Elementen zu säubern. Die Übergriffe und Exzesse des bisherigen Königs haben sowohl unter den Adeligen wie auch im gemeinen Volk die Feuer der Rebellion geschürt. Die Menschen müssen erst noch begreifen, dass diese Zeiten vorbei sind. Tatsächlich besteht die Gefahr für den vormaligen Prinzen und die Prinzessin, von ihrem eigenen Volk getötet zu werden. Ihr werdet froh sein zu hören, dass sie in meiner Festung in Sicherheit sind.
Die gegenwärtigen Wirren bietet uns die Gelegenheit, wie ich glaube, unsere Besitztümer auszuweiten. Mein Bruder Prinz Geoff hält seinen Anspruch auf das Königreich Arden weiterhin aufrecht. Er hat die Grenzen zu Tamron verstärkt und seine Armee nach Westen geführt, um jedweder Bedrohung von uns zu begegnen. Dadurch sind die Grenzen im Norden nur schwach besetzt und ungeschützt.
Nach meiner Kenntnis unterhalten die Fells eine stehende Armee von mehr als 5000 Berittenen und Fußsoldaten.
Bayar hob den Blick. »Eine bemerkenswert genaue Einschätzung, findet Ihr nicht?«
»Bemerkenswert«, murmelte Raisa.
Bayar las weiter.
Ich schlage Folgendes vor, wobei die Einzelheiten noch von unseren Repräsentanten ausgehandelt werden können:
Die Fells marschieren von Norden her nach Arden ein, und zwar mit mindestens 3000 Soldaten. Die Armee der Fells wird bis Temple Church nach Süden vordringen und dort Position beziehen. Dies wird die Aufmerksamkeit der ardenischen Armee von der westlichen Grenze ablenken und uns erlauben, aus dieser Richtung vorzurücken und die Hauptstadt einzunehmen.
»So etwas würde auch jedes zukünftige Bündnis mit Geoff unwahrscheinlich, wenn nicht gar unmöglich machen«, warf Averill ein.
Raisa nickte mit zusammengepressten Lippen. »Weiter«, befahl sie Bayar.
Wenn ich die Kontrolle über Arden habe, werde ich den größten Teil meiner Armee aus Tamron abziehen und die Tomlins dort als meine Regenten herrschen lassen, vorausgesetzt, dass es möglich ist, ihnen gewisse Realitäten klarzumachen.
Schließlich schlage ich eine sofortige Heirat zwischen uns beiden vor. Die Trauung sollte vollzogen werden, sobald unsere militärischen Ziele erreicht sind. Es
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