Der Wolfsthron: Roman
Geschlecht«, sagte Byrne, als klar war, dass sie nicht weitersprechen würde. »Als Euer Hauptmann ist Amon die beste Wahl. Würde es dem Königinnen-Geschlecht dienen, wenn Ihr … zusammen wärt, würde die Bindung nicht dagegen eingreifen.«
»Tatsächlich?«, fragte Raisa. »Wo steht das geschrieben? Wo sind die Regeln für all das? Da lebe ich einfach so vor mich hin und glaube, dass ich es bin, die die Entscheidungen für mich trifft, und dann muss ich feststellen, dass sie in Wirklichkeit von anderen getroffen werden.«
Byrne neigte den Kopf, als wollte er ihre Worte bestätigen, dann hob er ihn wieder und sah sie an.
»Und wo steht, was ich jetzt tun soll?«, flüsterte sie und blinzelte die Tränen zurück.
Byrne kramte von irgendwo ein Taschentuch hervor und reichte es ihr. »Ihr dient«, sagte er. »Ihr findet Glück, wo immer Ihr könnt. Ob mit oder ohne Liebe werdet Ihr einen Weg finden, um das Königinnen-Geschlecht fortbestehen zu lassen.«
Genauso, wie er es getan hatte.
Und genauso verklang Raisas Groll, bis nur noch ein dumpfer Schmerz zurückblieb, wie wenn sich Muskeln an eine alte Verletzung erinnerten. Sie begriff, dass ihre Verbitterung zur Gewohnheit geworden war und sie in Wirklichkeit irgendwann akzeptiert hatte, dass sie und Amon sich niemals lieben konnten. Und dass sie genauso – oder sogar noch mehr – Freunde benötigte, gerade jetzt.
Und was hatte sie dann getan? Sie hatte sich in Han Alister verliebt – noch jemand, den sie nie würde haben können, zumindest nicht in einer Ehe.
»Niemand von uns hat die Freiheit, seinem Herzen zu folgen«, sagte sie. »Jedenfalls nicht richtig. Ist es das, was Ihr mir damit sagen wollt?«
Er schüttelte den Kopf. »Niemand kann Euch davon abhalten, jemanden zu lieben«, sagte er.
Raisa rieb sich die Augen. »Ich habe immer gedacht, dass es bei mir anders sein würde, dass ich einen Weg finden würde, wie es möglich wäre. Aus Liebe zu heiraten.« Sie räusperte sich und reckte die Schultern. »Aber jetzt weiß ich, dass ich mich wie alle Grauwolf-Königinnen mit einer politischen Hochzeit zufriedengeben muss, mit jemandem, den ich nicht liebe.«
Byrne lächelte leicht. »Irgendwie glaube ich nicht daran, dass Ihr Euch mit irgendetwas zufriedengeben werdet, Eure Hoheit.«
Ich kann immer noch so werden wie Marianna, dachte Raisa, und die echte Liebe außerhalb der Ehe finden. Sie hatte ihrer Mutter niemals vergeben, dass sie ihren Vater nicht stärker geliebt hatte. Erst jetzt begann Raisa zu begreifen, dass die Welt nicht immer so schwarzweiß war, wie sie schien.
Sie beugte sich spontan nach vorn und packte Byrnes schwielige Hände. »Wie geht es ihr, Hauptmann? Der Königin, meine ich.«
Er sah auf ihre miteinander verbundenen Hände hinunter und blickte ihr dann ins Gesicht. »Mylady, ich glaube nicht …«
»Ihr seid mit ihr verbunden, also müsst Ihr etwas über ihre Gemütsverfassung wissen.«
Byrne zog ein Gesicht, als hätte sie sich auf verbotenes Terrain begeben. Ein Thema, das zu vertraulich war, um darüber zu reden. So wie die Liebe.
»Eure Hoheit, es steht mir nicht zu, Vermutungen über …«
»Wenn ich wieder in der Hauptstadt sein werde und ihr helfen soll, muss ich es wissen«, sagte Raisa unverblümt.
Byrne blickte Raisa an. Er wirkte beinahe abwehrend. »Es ist nicht so, als könnte ich ihre Gedanken lesen.«
Raisa nickte. »Ich weiß.« Sie machte eine Pause. »Ich wünschte einfach nur, ich würde sie besser verstehen. Sie hat nie viel von sich preisgegeben, während all der Zeit, als ich herangewachsen bin. Wir sind so verschieden. Ich sehe ihr noch nicht einmal sonderlich ähnlich.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, Ihr kommt mehr nach Eurem Vater. Obwohl sie groß ist, ist sie mir immer zart vorgekommen, wie … wie ein Frauenkuss.« Wie jene Frühlingsblume, die nur einen Tag lang blühte und bei jeder Berührung zusammenschrumpfte.
»Ihre Majestät ist in der letzten Zeit schwermütig gewesen«, erzählte Byrne weiter. »Und das ist auch nicht verwunderlich. Die Spirit-Clans, der Hohemagier und der Magierrat üben beständig Druck auf sie aus. Und dann seid Ihr auch noch verschwunden …« Seine Stimme versiegte. »In solchen Zeiten lasse ich sie nicht gern allein.«
»Es ist mein Fehler, dass Ihr sie allein lassen musstet, Hauptmann«, sagte Raisa mit einem riesigen Schuldgefühl im Magen.
»Wenn ich jemandem die Schuld geben wollte, Eure Hoheit, würde ich nicht bei Euch beginnen.« Byrne
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