Der Wolfstrank
in ein Fangeisen geraten waren. Wir konnten Sie befreien und hierher in die Untersuchungshaft bringen.«
Er musste die Worte zunächst verdauen. Dann sagte er mit leiser Stimme: »Können Sie Einzelheiten berichten? Bitte, ich möchte wirklich hören, was mir widerfahren ist. Ich bin auch bereit, alles auf mich zu nehmen. Sollte ich jemand Unrecht getan haben, sage ich Ihnen schon jetzt, dass ich es nicht bewusst getan habe.«
»Das wissen wir, Mr. Morton.« Ich räusperte mich. »Es ist auch nicht leicht, der Wahrheit ins Auge zu blicken, aber es gibt keine andere Möglichkeit.« Ich berichtete ihm, was Suko und ich in der vergangenen Nacht erlebt hatten, und der Mann schaute uns an, als würden wir ihm ein Märchen erzählen. Seine Augen befanden sich in ständiger Bewegung. Er war sehr blass geworden, und auf seinem Gesicht erschien ein neuer Schweißfilm.
Er flüsterte vor sich hin, wobei wir nicht verstehen konnten, was er sagte, aber seine Worte schienen ehrlich gemeint zu sein. Es war auch deutlich zu sehen, wie er zitterte und dann die Hände gegen das Gesicht schlug.
Ich hielt mich mit weiteren Erzählungen zurück und sah nur, wie er sich nach vorn beugte und dann zu schluchzen begann.
Wir gaben ihm die Chance, bis er sich wieder erholt hatte. Scharf saugte er die Luft ein. Sein Blick glitt in die Runde, als suchte er nach einem Ausweg. Die Lippen zitterten. Die dünne Haut am Hals bewegte sich zuckend, und er fuhr mit den Händen durch die Luft, als könnte er irgendwo Halt finden.
Schließlich war er so weit, dass er reden konnte. Er fing mit einem Nicken an. Dann hörten wir seine leise Stimme. »Ich habe es befürchtet, verdammt noch mal. Ich habe es wirklich befürchtet. Es ist so grausam, aber es ist auch unabänderlich. Ich habe etwas Schreckliches getan, und ich habe es auch geahnt.«
»Was genau?«
»Dass mit mir etwas nicht stimmt.«
»Gut«, fuhr ich fort. »Für jede Veränderung muss es auch einen Grund geben. Kein Mensch verwandelt sich ohne weiteres in einen Werwolf. Das sollte Ihnen schon klar sein.«
»Ist es auch«, gab er zu.
»Und trotzdem hat es Sie erwischt.«
»Genau«, flüsterte er.
»Wo denn?«
Cedric Morton richtete seinen Blick gegen die Decke, als wäre dort die Antwort zu lesen. »Ich habe es geahnt, als ich ihm begegnete. Ich wusste, dass er gefährlich und unheimlich war. Ich habe es gespürt. Diesen Instinkt besitze ich.«
»Was spürten Sie?«
»Dass er anders war.«
»Von wem reden Sie?«, fragte Suko.
Cedric Morton senkte den Kopf. »Ich spreche einzig und allein von dem Mann im Wald, dem ich begegnet bin. Ich wollte nicht bei ihm bleiben, aber er lud mich ein. Er war wirklich faszinierend. Ich konnte mich seinem Einfluss nicht entziehen, und nachdem er mich eingeladen hatte, war ich nicht mehr der Gleiche. Wir tranken zusammen. Ich sah die Welt mit anderen Augen, und plötzlich hatte ich das Gefühl, von der Bühne zu treten. Ich war immer jemand, der selbst neben sich herging. Das können Sie beide möglicherweise nicht begreifen, aber ich habe es verdammt deutlich zu spüren bekommen. Ich fühlte mich in den letzten Tagen sauschlecht, und wenn die Dunkelheit hereinbrach, dann erreichte mich die Angst. Sie war wie ein Schock. Ich wusste genau, dass in der Nacht etwas passieren würde, aber ich konnte nie sagen, was nun geschehen würde.« Er ballte in ohnmächtiger Wut die Hände zu Fäusten und schaute uns verzweifelt an, um nach Hilfe zu flehen.
Der Mann tat mir als Mensch Leid, nicht als Kreatur. Ich fragte: »Was machen Sie beruflich, Mr. Morton?«
»Ich bin selbstständig. Ich arbeite als Umwelt-Ingenieur. Ich werde von der Behörde engagiert, um Umweltschäden festzustellen. Deshalb befindet sich mein Arbeitsplatz auch sehr oft in der freien Natur. Das ist nun mal so.«
»Und dort haben Sie dann die Begegnung mit der Bestie erlebt – oder irre ich mich?«
»Nein, das ist keine Bestie gewesen. Es war ein Mann. Im Wilden Westen hätte ich ihn einen Waldläufer genannt. Er lud mich ein, und dabei ist es passiert.«
»Wo war das?«
Auf diese Antwort waren wir gespannt, aber Cedric Morton runzelte zunächst nur die Stirn. Er musste sehr stark grübeln, sprach flüsternd mit sich selbst und ihm fiel der Name Dorking ein.
»Das ist eine Stadt südlich von London«, sagte ich.
»Ja, das stimmt. Nur meine ich sie nicht. Es war in der Nähe, auch südlich von Dorking. Ein recht einsames Gebiet. Es gibt dort nur wenige Dörfer. Eines davon heißt
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