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Der Wolfstrank

Der Wolfstrank

Titel: Der Wolfstrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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Oder von einem Wesen, das ein Mittelding zwischen Mensch und Tier bildete. So etwas war natürlich möglich.
    Sie hielt den Atem an. Auf ihrer Haut bildete sich wieder ein Schauer. Besonders deutlich spürte sie ihn im Gesicht, und sie lauschte dem Schrei abermals nach.
    Nein, das war nicht nur ein Tier. Dazwischen vernahm sie noch einen anderen Klang, und der konnte einfach nur von einem Menschen stammen. Es hatte die Stimme einer Frau geschrien oder auch eines Mädchens, und dafür kannte sie nur eine Lösung. Es war Lucy gewesen. Ihre Lucy, ihre Enkelin, der sie trotz allem noch so zugetan war und für die sie betete.
    Zwei Mal hörte sie das Heulen. Beim zweiten Mal allerdings wesentlich schwächer, und dann sackte der Laut einfach weg, als hätte ihn der Boden verschluckt.
    Noch immer saß sie an der gleichen Stelle. Marlene merkte, wie auch der letzte innere Widerstand allmählich brach. Sie war und blieb die Gefangene in einer Umgebung, die mehr aus Düsternis bestand als aus Helligkeit. Wenn sie den Kopf bewegte und ihren Blick in die Höhe richtete, dann sah sie das primitive Dach wie einen Flickenteppich über sich, durch dessen Löcher nur wenig Licht drang. Auch glaubte sie, dass das Licht bereits schwächer geworden war. Es besaß nicht mehr die Helligkeit des Mittags. Und wie das Licht allmählich verging, so zerstreute sich auch ihre Hoffnung, lebend aus dieser Hütte wegzukommen.
    Marlene konnte nicht mal weinen. In ihrem Innern befand sich eine Sperre, die allein von der Angst aufgebaut worden war. Sie saß lethargisch auf dem Boden, und ebenso war auch ihr Blick.
    Bis sie plötzlich leise aufschrie!
    Durch die Arme waren die beiden Feuerstrahlen gelaufen und erreichten sogar die Spitzen der Finger. In ihrer steifen Haltung krümmte sich Marlene noch zusammen. Sie fühlte sich wie gefoltert, und für den Moment konnte sie die Arme nicht bewegen. Das geschah erst wieder, als das Brennen nachgelassen hatte, nur war es leider nicht völlig aus ihren Armen verschwunden. Es blieb bestehen, und es machte sie schwer, wie auch die Hände.
    Tun konnte sie nichts mehr. Unter großen Mühen hob Marlene die Arme an und legte ihre Hände so weit auf die Oberschenkel, dass sie sie genau beobachten konnte. Dazu reichte das Licht glücklicherweise noch aus, und was sie zu sehen bekam, erfreute sie nicht.
    Ihre Hände veränderten sich nicht, die Form behielten sie bei, aber es war die Haut, die eine Veränderung durchlebte, denn sie dunkelte allmählich ein.
    Ihre Augen zeigten einen entsetzten Ausdruck. Sie wurde Zeugin ihrer eigenen Veränderung und bemerkte, wie die Dunkelheit auf ihren Händen immer weiter von den Fingerspitzen an in die Höhe kroch. Es war einfach teuflisch, es war grauenvoll, und auch das verdammte Brennen blieb bestehen.
    Knapp, heftig und stoßweise drang der Atem aus ihrem offenen Mund. Der Schweiß war ebenfalls nicht aufzuhalten. Sie verfluchte den verdammten Trank und stand auch nahe davor, ihre Enkelin zu verfluchen. Der dunkle Schleier auf der Haut wanderte weiter und näherte sich allmählich ihren Oberarmen. Sie sah es nicht, weil die Ärmel des Mantels ihr den Blick nahmen, aber sie spürte die Wirkung sehr deutlich. Der Weg war sehr einfach zu verfolgen, und schließlich war das Ende der Arme erreicht. Marlene musste noch bange Sekunden überstehen, weil sie damit rechnete, dass auch die Schultern, der Hals und der Kopf in Mitleidenschaft gezogen wurden, doch das trat zum Glück nicht ein.
    Es blieb bei dieser Teilverwandlung. Selbst das Brennen trat allmählich in den Hintergrund und schwächte sich so weit ab, dass es auch ertragbar war.
    Es durchströmte sie kein Gefühl des Glücks, aber sie war in diesen Augenblicken froh darüber, dass sie noch lebte und sich auch bewegen konnte.
    Sie hob die Arme an, um die Hände aus der Nähe zu sehen. Dass sie dunkler geworden waren, hatte sie längst erkannt, nun wollte sie es genauer wissen.
    Sie schaute sich die Haut an. Zwinkerte mit den Augen, weil sie die Feuchtigkeit darin am klaren Blick hinderte. Dann tat sie etwas, was sie einfach tun musste, auch wenn es ihr nicht passte. Sie spitzte die Lippen und blies gegen ihre Handrücken.
    Der Erfolg trat ein, und er war schlimm, denn Marlene erkannte, dass sich auf der Haut etwas bewegte. Es war genau das, was sich dort neu gebildet hatte.
    In der vergangenen Nacht hatte sie das gleiche Phänomen gesehen. Nur nicht bei sich, sondern bei ihrer Enkelin.
    Es hatten sich Haare gebildet.

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