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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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Fahrer allesamt kräftige Duplikanten desselben Stammtyps waren. Die Straßen in den Reisebenen nördlich des Andongho-Sees sind schnell, aber ungeschützt, und so blieben wir ungefähr bis Stunde Fünfzehn im Ford, wo die EyeSats uns nicht sehen konnten.
Auf einer alten Hängebrücke hoch über dem tosenden Chuwangsan legten wir eine Pause ein, um uns die Beine zu vertreten. Hae-Joo entschuldigte sich für seine Reinblüterblase und pinkelte auf die Bäume hundert Meter unter ihm. Ich beobachtete die schwarzweißen Papageien, die oben auf dem mit Guano übersäten Steilhang hockten; ihr aufgeregtes Flügelschlagen und ihr Gekreische erinnerten mich an Boom-Sook Kim und seine Freunde. Stromaufwärts wand sich der Fluss durch eine Schlucht; stromabwärts führte er durch die flacher werdenden Berge und verschwand in der Ferne unter dem Baldachin von Ūlsōng. Die Aeros über dem BZ bildeten eine Formation aus einzelnen Punkten.
Die Brücke ächzte unter dem Gewicht eines schnittigen Xec-Fords; ein ungewöhnlich teures Fahrzeug für diese ländliche Gegend. Hae-Joo holte seinen Colt aus dem Ford und verbarg die Hand in der Jackentasche. Er forderte mich auf, das Reden ihm zu überlassen und sofort hinter dem Ford in Deckung zu gehen, falls der andere Fahrer einen Colt zog.
Der Xec-Ford kam langsam zum Halten. Ein stämmiger Mann mit schimmerndem, facedesigntem Teint sprang aus dem Fahrzeug und nickte uns freundlich zu. ‹Schöner Nachmittag.›
Hae-Joo erwiderte sein Nicken und meinte, es sei zum Glück nicht so schwül.
Eine auf sexy genomierte Reinblüterin stieg aus der Beifahrertür. Sie trug eine riesige Sonnenbrille; von ihrem Gesicht waren nur die Stupsnase und die vollen Lippen zu sehen. Sie lehnte sich mit dem Rücken zu uns ans andere Geländer und steckte sich eine Marlboro in den Schmollmund. Ihr Begleiter hatte derweil den Kofferraum aufgemacht und nahm eine Box mit Luftschlitzen heraus, geeignet für einen mittelgroßen Hund. Er ließ die Schlösser aufschnappen und hob ein auffallend wohlgestaltetes, aber winziges Mädchen von ungefähr dreißig Zentimetern Größe heraus.
Die Kleine wimmerte vor Angst und versuchte sich loszuzappeln. Dann sah sie uns; ihr Schrei war leise, aber flehentlich.
Der Mann packte sie bei den Haaren und schleuderte sie von der Brücke. Er sah zu, wie sie fiel, und machte mit der Zunge ein ploppendes Geräusch. ‹Die billige Methode, um sauteuren Müll loszuwerden›, sagte er grinsend.
Ich erstarrte und zwang mich, den Mund zu halten: Hass und Wut zerrissen mir das Herz. Hae-Joo berührte meinen Arm. Fieberhaft versuchte ich, an etwas anderes zu denken, irgendetwas; eine Szene aus Das grausige Martyrium des Timothy Cavendish drängte sich mir auf: Ein unschuldiger Reinblüter wurde von einem Verbrecher vom Balkon geworfen.
     
    Ich nehme an, der Mann hat eine lebendige Duplikantenpuppe entsorgt.
Der Xec war ganz erpicht darauf, uns alles zu erzählen. ‹Vorletztes Sextett waren Zizzi-Hikaru-Puppen der letzte Schrei. Meine Tochter quengelte mir pausenlos die Ohren voll. Meine offizielle Gattin›, er deutete mit einem Nicken auf die Frau auf der anderen Seite der Brücke, ‹redete natürlich auch von morgens bis abends auf mich ein: Wie soll ich unseren Nachbarn noch ins Gesicht sehen, wenn unsere Tochter das einzige Mädchen in unserer Anlage ist, das keine Zizzi hat? , zeterte sie.› Der Xec gestand, dass er die Vermarkter der Puppen insgeheim bewunderte. ‹Die nehmen sich einen schrottreifen Spielzeugduplikanten›, sagte er, ‹genomieren ihn wie ein altes Glamouridol, erhöhen den Preis um satte fünfzigtausend und gucken zu, wie ihnen die Dinger förmlich aus der Hand gerissen werden. Und dann hat man noch nicht mal für Designerkleidung, das Puppenhaus und Zubehör geblecht. Was habe ich also gemacht? Ich habe das verdammte Ding gekauft, damit die Frauen endlich Ruhe geben! Und was passiert vier Monate später? Die Teenies fahren auf was Neues ab, und Marilyn Monroe stößt die arme uncoole Zizzi vom Thron.› Entrüstet fuhr er fort, dass ein professioneller Duplikantenentwerter neunhundert Dollar verlange. Dann hellte sich seine Miene plötzlich auf. Er zeigte mit dem Daumen über das Geländer und meinte, ein kleiner Unfall wie dieser sei völlig kostenlos; warum also Geld zum Fenster rausschmeißen? ‹Zu schade›, sagte er augenzwinkernd zu Hae-Joo, ‹dass Scheidungen nicht ebenso unkompliziert sind.›
‹Das habe ich gehört, Fettarsch!› Seine Frau drehte

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