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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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mich wieder an den Sony. Es fing an zu regnen. Hae-Joo drehte sich im Schlaf auf die andere Seite und nuschelte: ‹Nein, nur der Freund eines Freundes.› Spucke lief aus seinem Mund und auf das Kopfkissen. Ich dachte an Professor Mephi: In unserem letzten Seminar hatte er erzählt, dass er von seiner Familie getrennt lebte und mehr Zeit für meine Bildung aufbrachte als für die seiner Töchter.
Hae-Joo wachte am Nachmittag auf, duschte und kochte Ginsengtee. Ich beneide die Reinblüter um ihr Essen; vor meinem Aufstieg konnte ich mir nichts Köstlicheres vorstellen als Seife, aber jetzt schmeckt sie fade und langweilig. Ich werde krank, wenn ich Reinblüternahrung zu mir nehme. Der Unionler ließ den Rollladen herunter. ‹Zeit, Verbindung aufzunehmen.› Er nahm das Kodak des Geliebten Vorsitzenden von der Wand und legte es mit der Vorderseite nach unten auf den niedrigen Tisch. Dann verband er den Sony mit einer Steckdose, die sich in dem Kodakrahmen verbarg.
     
    Ein illegaler Transceiver? Versteckt in einem Kodak von Neas Schöpfer?
Das Heilige ist ein glänzendes Versteck für das Profane: Sie sind sich so ähnlich. Das 3D eines Mannes trat hervor; er sah aus wie ein xtrem billig behandeltes Verbrennungsopfer. Seine Lippenbewegungen waren nicht ganz synchron zu seiner Stimme. Er beglückwünschte mich zu meiner sicheren Ankunft und fragte, wer das hübschere Gesicht habe, er oder der Karpfen.
Ich antwortete wahrheitsgemäß: der Karpfen.
An-Kor Apis Lachen ging in ein Husten über. ‹Das hier ist mein wahres Gesicht, was immer das bedeuten mag.› Sein abstoßendes Äußeres, erklärte er, sei ihm nur recht, da Vollstrecker sich vor ansteckenden Krankheiten fürchteten. Dann erkundigte er sich, ob mir die Reise durch unser geliebtes Vaterland gefallen habe.
Hae-Joo Im habe gut auf mich aufgepasst, antwortete ich.
Als Nächstes fragte er, ob ich die Rolle, die ich für die Union spielen sollte, verstanden hätte. Ich bejahte, zögerte jedoch, meine Unentschlossenheit zur Sprache zu bringen. Er kam mir zuvor. ‹Bevor du dich entscheidest, Sonmi, möchten wir dir in Pusan etwas zeigen, was eine einschneidende Erfahrung sein wird›, sagte Apis. Es werde kein angenehmer Anblick sein, aber es sei dringend notwendig. ‹Du sollst die Entscheidung über deine Zukunft bei uns informiert treffen.› Wenn ich einverstanden sei, würde Kommandant Im mich jetzt zu diesem Ort begleiten.
Erleichtert, ein wenig Zeit gewonnen zu haben, willigte ich ein.
‹Dann sprechen wir uns sehr bald wieder›, sagte Apis und stellte den Bildwandler ab. Hae-Joo nahm zwei Technikeruniformen und Halbvisiere aus dem Kleiderschrank; wir schlüpften hinein und zogen unsere Mäntel darüber, damit die Wirtin keinen Verdacht schöpfte. Draußen war es kalt für die Jahreszeit, und ich war froh über die wärmende zweite Schicht. Wir nahmen die Metro zum Hafenterminal und fuhren mit der Rolltreppe vorbei an Ozeanriesen hinunter zu den Kais. Das nächtliche Meer war ölig schwarz, doch auf einem Schiff, das einem Unterwasserpalast ähnelte, blinkten goldene Bögen. Ich hatte es schon einmal gesehen, in einem früheren Leben. ‹Papa Songs Goldene Arche›, rief ich und erklärte Hae-Joo, dass die Zwölfstern-Bedienerinnen auf diesem Schiff ins Elysium nach Hawaii gebracht wurden.
Das wusste er bereits; wir gingen an Bord.
Die Gangway war kaum bewacht; ein verschlafener Reinblüter hatte die Füße auf seinen Schreibtisch gelegt und sah sich Gladiatorduplikanten im Shanghai-Kolosseum auf 3D an. ‹Sie sind?›
Hae-Joo legte seine Seele auf den Scanner: ‹Techniker der Fünften Schicht, Man-Shik-Kolonne.› Er sah auf sein Handsony und las vor, dass er die Thermostate auf Deck Sieben nacheichen sollte.
‹Sieben?› Der Wachmann grinste süffisant. ‹Hoffentlich haben Sie nicht gerade gegessen.› Er bestätigte den Auftrag und musterte mich. Ich blickte zu Boden. ‹Wer ist diese Quassel-Marathoni, Techniker?›
‹Meine neue Assistentin›, sagte Hae-Joo. ‹Technische Assistentin Yoo.›
‹Ach? Ist das heute Ihr erster Besuch im Vergnügungspalast?›
Ich nickte.
Der Wachmann meinte, das erste Mal sei immer das schönste. Mit einem trägen Zucken seines Fußes winkte er uns durch.
     
    Ihr bekamt so einfach Zutritt zu einem Konzern-Schiff?
Papa Songs Goldene Arche ist nicht gerade ein Magnet für blinde Passagiere, Archivar. Die vielen Besatzungsmitglieder und Assistenten in den Gängen waren so beschäftigt, dass sie uns gar nicht

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