Der Wolkenatlas (German Edition)
schlafen. Um alles andere kümmern wir uns. Wenn Sie bitte hier unterschreiben mögen, ich zeige Ihnen dann Ihr Zimmer. Es ist schön ruhig, mit Blick auf den Garten. Es wird Ihnen gefallen.»
Mit Tränen der Dankbarkeit in den Augen folgte ich ihr zu meinem Zufluchtsort. Das Hotel war modern und blitzsauber, die verschlafenen Korridore waren in zartes Licht getaucht. Ich nahm Gerüche aus meiner Kindheit wahr, konnte sie jedoch nicht zuordnen. Ab nach Bettenhausen in die Federallee. Mein Zimmer war einfach eingerichtet, die Bettwäsche sauber und gestärkt, und über dem beheizten Halter hingen frische Handtücher. «Meinen Sie, Sie kommen jetzt allein zurecht, Mr. Cavendish?»
«Herrlich, meine Liebe.»
«Dann wünsche ich süße Träume.» Die würde ich haben. Ich duschte rasch, schlüpfte in meinen Pyjama und putzte mir die Zähne. Mein Bett war hart, doch so bequem wie die Strände von Tahiti. Die Hoggins’schen Horrorbrüder befanden sich östlich von Kap Horn, ich war ungeschoren davongekommen, und Denny, mein allerliebster Denholme, kam für die Unkosten auf. Bruder in Not – Bruder im Tod. In meinen kuschelweichen Kissen sangen Sirenen. Morgen früh würde für mich ein völlig neues Leben anfangen. Dieses Mal würde ich alles richtig machen.
«Morgen früh.» Das Schicksal liebt es, diese beiden Wörtchen mit einem Sprengsatz zu versehen. Beim Aufwachen erblickte ich eine nicht mehr ganz junge Frau mit Pagenfrisur, die wie eine Schnäppchenjägerin in meinen persönlichen Sachen wühlte. «Verflucht, was haben Sie in meinem Zimmer zu suchen, Sie kleptomanisches Warzenschwein?», stieß ich halb brüllend, halb ächzend hervor.
Die Frau legte ohne erkennbares Schuldbewusstsein mein Jackett hin. «Da Sie neu sind, werde ich davon absehen, Ihnen den Mund mit Seife auszuwaschen. Diesmal. Aber ich warne Sie. Ich dulde keine unflätigen Reden in Haus Aurora. Von niemandem. Und ich mache niemals leere Drohungen, Mr. Cavendish. Niemals.»
Eine Einbrecherin, die ihr Opfer für seine Kraftausdrücke tadelt! «Ich rede mit Ihnen, wie es mir passt, Sie widerliche Diebin! Sie mir den Mund mit Seife auswaschen? Dass ich nicht lache! Rufen wir doch den Sicherheitsdienst! Rufen wir die Polizei! Sie beschweren sich über unflätige Reden, und ich beschwere mich über Einbruch und Diebstahl!»
Sie trat an mein Bett und verpasste mir einen kräftigen Schlag aufs Mundwerk.
Vor Entsetzen fiel ich zurück auf mein Kissen.
«Ein enttäuschender Anfang. Ich bin Mrs. Noakes. Kommen Sie ja nicht auf die Idee, sich mir zu widersetzen.»
War ich in einem perversen S-&-M-Hotel gelandet? Hatte eine Wahnsinnige meinen Namen im Gästebuch gelesen und war dann in mein Zimmer eingedrungen?
«Das Rauchen ist hier untersagt. Ihre Zigarren muss ich konfiszieren. Das Feuerzeug ist als Spielzeug viel zu gefährlich für Sie. Und was ist das hier, bitte schön?» Sie klimperte mit meinem Schlüsselbund.
«Schlüssel. Was glauben Sie denn?»
«Schlüssel gehen nur verschütt! Die geben wir lieber Mrs. Judd zur sicheren Verwahrung, einverstanden?»
« Wir geben hier niemandem etwas, Sie wahnsinniger Drachen! Sie schlagen mich! Sie bestehlen mich! Was für ein Hotel stellt denn Diebinnen als Zimmermädchen ein?»
Die Kreatur stopfte ihre Beute in eine kleine Tasche. «Sonst noch Wertsachen zum Aufbewahren?»
«Legen Sie meine Sachen zurück. Sofort! Oder ich sorge für Ihre Entlassung, das schwöre ich Ihnen!»
«Ich werte das als ein Nein. Frühstück ist Punkt acht. Heute gibt’s gekochte Eier mit Toastschnitten. Wer trödelt, kriegt nichts.»
Sowie sie aus dem Zimmer war, zog ich mich an und suchte nach dem Telefon. Es gab keins. Nach einer schnellen Katzenwäsche – mein Badezimmer war behindertengerecht mit abgerundeten Kanten und Haltegriffen ausgestattet – eilte ich zur Rezeption, wild entschlossen, für gebührende Gerechtigkeit zu sorgen. Ohne zu wissen, wieso, zog ich plötzlich ein Bein nach. Ich hatte mich verlaufen. Die identischen, mit Stühlen gesäumten Korridore wurden mit schwungvoller Barockmusik beschallt. Ein lepröser Gnom packte mich am Handgelenk und zeigte mir ein Glas mit Haselnussbutter. «Wenn Sie die behalten, erzähl ich Ihnen, warum ich es nicht tue.»
«Sie verwechseln mich.» Ich löste meine Hand aus seiner Klaue und durchquerte einen Speisesaal; die Gäste saßen an langen Tischen, Serviererinnen brachten Schüsseln aus der Küche herein.
Was daran so eigenartig war?
Die
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