Der Wolkenatlas (German Edition)
Hausmeistermontur aus dem Boden wie der Grüne Ritter. Mit blutverschmierten Pranken entfernte er die sterblichen Reste eines Igels aus den Messern. «Geht’s auf Reisen?»
«Worauf Sie sich verlassen können! Ins Land der Lebenden.» Ich eilte weiter. Die Blätter verwandelten sich unter meinen Füßen zu Erde. So ist das, Bäume essen sich selbst. Irritiert stellte ich fest, dass die Auffahrt zurück zum Anbau mit dem Speisesaal führte. Ich hatte den falschen Weg genommen. Die Untoten von Haus Aurora beobachteten mich durch die Glaswand. «Soylent Green ist menschlich!» Ich äffte ihre leeren Gesichter nach. «Soylent Green wird aus Menschen gemacht!» Sie glotzten mich verständnislos an – ach, leider Gottes bin ich der Letzte meines Stammes. Ein Grufti klopfte an die Scheibe und zeigte hinter mich. Ich drehte mich um, und das Ungeheuer warf mich über seine Schulter. Mit jedem seiner Riesenschritte schnürte er mir mehr die Luft ab. Er stank entsetzlich nach Dünger. «Ich habe Wichtigeres zu tun …»
«Niemand hindert Sie daran!» Vergeblich bemühte ich mich, ihn in den Würgegriff zu nehmen, doch ich glaube, er bemerkte es nicht einmal. Also brachte ich meine ganze sprachliche Überlegenheit auf, um den Schurken in seine Schranken zu weisen: «Sie primitives, plumpes, tumbes Tier! Das ist schwere Körperverletzung! Das ist illegale Freiheitsberaubung!»
Um mich zum Schweigen zu bringen, drückte er noch fester zu, worauf ich ihn bedauerlicherweise ins Ohr biss. Ein taktischer Fehler. Mit einem einzigen kraftvollen Ruck wurde mir die Hose heruntergerissen – wollte er sich etwa an mir vergehen? Was er tat, war sogar noch unangenehmer. Er legte mich über die Mähmaschine, drückte mich mit einer Hand nach unten, und mit der anderen züchtigte er mich mit einem Bambusstock. Schmerz durchzuckte meine mageren Schenkel, einmal, zweimal, und nochmal und nochmal und nochmal!
Himmelherrgott, was für Qualen!
Ich bat ihn schreiend, heulend, winselnd aufzuhören. Klatsch! Klatsch! Klatsch! Schwester Noakes gebot dem Riesen schließlich Einhalt. Meine Pobacken glichen zwei gewaltigen Wespenstichen! Die Frau zischte mir ins Ohr: «Die Welt da draußen hat keinen Platz mehr für Sie. Haus Aurora ist jetzt Ihr Zuhause. Haben Sie das begriffen? Oder muss ich unseren Mr. Withers bitten, nochmal von vorne anzufangen?»
«Sag ihr, sie soll zur Hölle fahren», ermahnte mich mein Geist, «oder du wirst es später bereuen.»
«Sag ihr, was sie hören will», kreischten meine Nerven, «oder du bereust es gleich .»
Der Geist war willig, doch das Fleisch war schwach.
Ich wurde ohne Frühstück auf mein Zimmer geschickt. Ich ersann Rachepläne, Klageschriften und Foltermethoden. Ich inspizierte meine Zelle. Tür: von außen abgeschlossen, kein Schlüsselloch. Fenster: nur eine Handbreit zu öffnen. Dünne, reißfeste Plastiklaken mit Gummiunterlage. Sessel: abnehmbarer Schonbezug. Strapazierfähiger Teppichboden. Abwaschbare Tapeten. Badezimmer: Seife, Shampoo, Waschlappen, zerschlissenes Handtuch, kein Fenster. Das Bild eines Cottage mit der Überschrift: Ein Haus wird mit den Händen gebaut, ein Heim aber mit dem Herzen . Ausbruchschancen: saumäßig gering.
Dennoch war ich überzeugt, dass meine Haft noch vor dem Mittag beendet sein würde. Einer von vielen Wegen nach draußen musste sich auftun. Vielleicht sah die Heimleitung ihren Fehler ein, entschuldigte sich überschwänglich, entließ die Übeltäterin Noakes und drängte mir eine Entschädigung in bar auf. Oder Denholme erfuhr, dass sein kleiner Scherz nach hinten losgegangen war, und ordnete meine Freilassung an. Oder der Buchhalter bemerkte, dass meine Rechnung nicht bezahlt wurde, und setzte mich vor die Tür. Oder Mrs. Latham gab eine Vermisstenanzeige auf, worauf Crimewatch UK groß über mein Verschwinden berichtete und die Polizei meinen Aufenthaltsort ausfindig machte.
Gegen elf wurde die Tür aufgeschlossen. Ich war gewappnet, sämtliche Entschuldigungen zurückzuweisen und ihm oder ihr an die Gurgel zu springen. Eine einstmals stattliche Frau rauschte herein. Siebzig, achtzig, fünfundachtzig, wer weiß das bei diesen alten Schachteln schon? Ein gebrechlicher Graukopf im Blazer folgte seiner Herrin bei Fuß. «Ein herrlicher Morgen, nicht wahr?», strahlte die Frau. Ich blieb stehen, ohne meinem Besuch Platz anzubieten.
«Da bin ich anderer Meinung.»
«Ich heiße Gwendolin Bendincks.»
«Dafür kann ich nichts.»
Sie steuerte
Weitere Kostenlose Bücher