Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
Müllkopfes, und mit der Stimmgewalt einer Hundertschaft Ratten brüllt er: » R ÜCKZUG ! R ÜCKZUG !«
All meine Soldaten, ob aus Glas, Fleisch und Blut oder Stein, schwanken kurz, dann stürmen sie, so schnell es geht, Richtung Wasser. Natriumiten zerren Bordsteinpriester mit abgetrennten Gliedmaßen hinter sich her, indem sie ihre Magnetfelder wie Schleppnetze um die Verwundeten legen. Ich bleibe stehen, treibe sie vorwärts, bis der letzte Lampenknabe an mir vorbei ist, und als ich mich umdrehe und ihm nachhetze, machen die Skelettwölfe sich unter Freudengeheul an unsere Verfolgung.
Es sind kaum hundert Schritte zum Fluss. Die Entfernung wird kleiner. Ich spüre den kalten Atem der Wölfe im Nacken. Als die ersten Soldaten meiner Armee das Ufer erreichen, laufen sie unschlüssig hin und her. Ein paar von ihnen blicken zurück in meine Richtung, mit ratlosen, bestürzten Mienen. Ich weiß, was sie denken: Wenn das Wolfsrudel sie am Wasser umzingelt, werden sie allesamt abgeschlachtet.
Ich fange Gossenglas’ Blick auf. Uns bleibt nur eine Chance.
» RECHT S AUSBRECHEN !«, schreie ich, während Glas gleichzeitig brüllt: » L INKS AUSBRE CHEN !«, dann werfe ich mich zwischen die Reihen meiner Soldaten und beginne, mit fast roher Gewalt gläserne Leiber westwärts am Ufer entlangzustoßen. Glas ist effizienter, indem er sich in eine riesige Hand verwandelt und ganze Horden von Bordsteinpriestern in die entgegengesetzte Richtung fegt.
Gläserne Mädchen und Jungen schreien, ihre blassgelben Lichter flackern wirr. Ein Priester wird von seinen Artgenossen zu blutigen Trümmern zertrampelt. Aber mitten in unseren Reihen öffnet sich eine Lücke. Die Wölfe versuchen, ihren Ansturm zu bremsen, doch ihr Schwung ist zu groß, und als sie an uns vorbeirasen, schnappen sie mit verdrehten Hälsen nach unseren Beinen. Ihre metallenen Pranken pulverisieren die massive Betonbrüstung, dann stürzen sie in den glitzernden Fluss.
Beim Atmen brennt mir die Lunge. Ich werfe Glas ein Lächeln zu.
Das Wolfsrudel regt sich, schwirrt durch das knöcheltiefe Wasser, wendet sich um, bereit, uns zu verfolgen. Doch plötzlich halten die Bestien inne.
Einer der Abrichter blickt auf die glatte Oberfläche des Flusses hinab, und ich ahne bereits, was er sieht: Die Spiegelungen der Stahlmänner und Skelettwölfe sind umzingelt von weiteren Spiegelungen, Hunderten von ihnen, manche in Anzügen, andere in groben Latzhosen oder zerschlissenen Tarnkleidern. Sie sind Spiegelungen ohne Originale, Spiegelungen, die grimmig lächeln, als die Schweißbrenner in ihren Händen funkensprühend und flackernd zum Leben erwachen.
Ich springe gerade noch rechtzeitig auf einen leeren Sockel auf dem Embankment, um zu sehen, wie der erste Reflexokrat seinen Schweißbrenner an die Spiegelung eines der Wölfe führt. Im nächsten Moment stößt der echte Wolf einen grässlichen Schrei aus, während sein Maul zuerst grellweiß aufglüht und dann zu schmelzen beginnt.
Mir dröhnen noch die Ohren, als eine schwere steinerne Hand mir auf die Schulter schlägt. Ich schaue in Ezechiels Gesicht; er gratuliert mir zu meiner Finte. Ich nicke geistesabwesend. Unter mir mühen sich die Wölfe verzweifelt, sich aus dem Fluss zurückzuziehen, doch ihre Spiegelbilder sind jetzt gefesselt und mit Maulkörben versehen, und sosehr sie auch an ihnen zerren, sie könnten ebenso gut versuchen, sich von ihren eigenen Schatten loszureißen.
Übelkeit überkommt mich angesichts dessen, was ich die Reflexokratie habe tun lassen. Ich wende mich ab –
– und werde starr vor Entsetzen.
Im dämmrigen Licht auf der anderen Seite der Straße steht ein einsamer Skelettwolf. Ein Mädchen, das auf den Rücken der Bestie gebunden ist, sieht mich an. Ein Seidenschal verbirgt ihr Haar. Ihr Gesicht ist überwuchert von Draht und verklebt von getrocknetem Blut. Auf seltsame Weise vermittelt sie pure Abscheu; ein unerbittlicher Hass strahlt von ihr aus. Beinahe träge richtet sie einen Arm auf unsere Reihen.
»Nein!« Ich will es herausschreien, aber ich weiß nicht einmal, ob ich überhaupt einen Laut von mir gebe.
Mit ungeheurer Geschwindigkeit entrollen sich Ranken aus Stacheldraht, Hunderte von schlangenartigen Strängen. Einem Natriumitenmädchen, jünger als ich, bleibt nicht mal mehr Zeit zu blinzeln, ehe der Draht ihr knirschend den Hals bricht.
Oh nein. Oh Thems, nein : die Drahtmeisterin …
Noch mehr Ranken, noch mehr zerschmetterte Leiber, noch mehr Tod. Reach hat
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