Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

teilen sich auf dem Pflaster. Die Luft stinkt nach Kordit. Eine Erscheinung aus reinem Licht schießt aus der Mitte des Reigens hervor und streckt einen Gerüstriesen nieder. Kaum einen Wimpernschlag später erlischt sie, doch ihr Werk ist getan. Die geschmolzene Schlacke, die einmal ein Riese war, brennt sich in den Asphalt, erstarrt zu glasigen Formen wie gefrorene Wellen.
    Eine Pranke fährt auf mich nieder. Ich pariere den Angriff und schlage zurück, dann riskiere ich kurz einen Blick unter die Brücke. Die fünf Glasfrauen, die die Erscheinung beschworen haben, liegen regungslos da, ihr Leuchten erloschen. Sie haben keine weiteren solcher Teufel mehr in sich.
    Beths Schrei ließ die Luft um sie herum erzittern. Der Wolf warf den Kopf hin und her, sodass seine Reißzähne ihr die Schulter zerfetzten, ein entsetzlicher, sägender Schmerz. Sie merkte, wie das Bewusstsein langsam aus ihr heraussickerte. Die Hand, die sie auf ihre Brust presste, war voller zähflüssigem, öligem, von schwarzen Streifen durchzogenem Blut, das unter ihren Fingernägeln gerann.
    Stell dich tot, stell dich tot. Sie wusste nicht, woher der Gedanke so plötzlich kam. Sie erschlaffte. Stell dich tot.
    In ein paar Sekunden würde sie nicht mehr so zu tun brauchen.
    Unvermittelt ließ der Wolf sie fallen, der Aufprall presste ihr die Luft aus der Lunge. Das Untier beugte sich über sie, riss die metallenen Kiefer weit auseinander …
    … und klappte sie nicht wieder zu.
    Beth glotzte verständnislos zu ihm hinauf. Die Scharniere an den Gelenken seines Gerüststangenschädels knirschten unter der Anstrengung, doch der Skelettwolf vermochte sein Maul nicht zu schließen. Rostwolken stoben aus seinen Nüstern.
    » Da , Jungs! Da ! Sehr viel gut!«
    Beth zuckte zusammen, als sie sich auf ihre Schulter rollte. Durch den Schleier aus grässlichen Schmerzen sah sie Victor nur wenige Meter entfernt auf dem Gehweg stehen. Sein Wintermantel flatterte, und er fuchtelte mit seiner Taschenlampe, als dirigierte er ein Orchester. Vor Ungeduld bebende Weißhells umringten ihn, strahlend hell wie winzige Sterne.
    Ein manisches Glitzern lag im Blick des Russen. »Jetzt, Jungs, meine guten Jungs, mehr «, drängte er. »Mehr.«
    Daraufhin richteten die gläsernen Burschen ihre Schirmmützen, bogen sich ins Hohlkreuz und schwitzten reines Licht aus ihren Stirnen.
    Die Kiefer des Wolfs spreizten sich immer weiter auseinander, die Scharniere kreischten unter der Last. Von grausiger Faszination gepackt sah Beth zu, wie die Hälften des gigantischen Mauls schließlich nach hinten klappten, und unter ohrenbetäubendem Lärm wurde das Innere von Reachs Monster nach außen gekehrt.
    Mit schwirrendem Kopf stand Beth auf. Wolken von wodkageschwängertem Atem hüllten sie ein, als Victor sich über sie beugte, um ihre Schulter zu untersuchen. Sie merkte bereits, wie die Verletzung verheilte, wie der Zement in ihrem Blut die Wunden überkrustete.
    »Was bloß bist du, Zarin?«, murmelte er, beinahe hypnotisiert von der fremdartigen Beschaffenheit ihres Bluts. »Göttin-Medizin wie solche haben die uns nicht beigebracht in Speznas.«
    Hinter ihm konnte sie weitere Wölfe heranschleichen sehen, ihre stählernen Fänge glänzten im Licht ihrer Feinde. Wütend stieß sie Victor beiseite. »Die umzingeln uns!«, brüllte sie ihn an. »Komm schon.« Sie lief los, auf das orangerote Leuchten der Phalanx aus Natriumiten zu. Hitze strömte ihr über den Nacken, als die Weißhells sich ihr anschlossen. Bei jedem Schwung ihres verletzten Arms hämmerte ein lähmender Schmerz durch ihren Körper.
    Göttin , dachte sie, wer zur Hölle ist hier ’ne Göttin?
    Reachs erste Angriffswelle verebbt. Seine Wölfe hetzen umher, ihr Zähneknirschen erfüllt die Luft, aber sie sind jetzt weit weniger zahlreich als zuvor. Andererseits gilt das auch für uns. Ich renne los, Glasscherben schneiden in meine Fußsohlen. Ein riesiger Tiger aus Müll springt an meine Seite, und ein seltsamer Jubel läuft durch unsere Schlachtreihen – nur zwei oder drei hörbare Stimmen, doch ein ganzer Chor stummer Rufe, dessen Leuchten die Wolkendecke erhellt. Sie glauben, dass wir gewinnen.
    Doch jetzt setzen die Abrichter sich in Marsch, schwankende Stahlskelette, die wacklig auf der Straße herantorkeln, und der Lärm ihrer Schritte klingt wie läutende Glocken. Sie hocken sich zwischen die Trümmer des Wolfrudels, ordnen die Überbleibsel mit Fingern, die allzu klein und beweglich wirken an ihren klobigen