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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Pollock
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seine Hohepriesterin gesandt, um uns auszulöschen.
    Ich schiebe mich auf sie zu, obwohl meine Beine sich sträuben. »Du bist der Einzige, der sie aufhalten kann!«, brülle ich auf mich ein, aber ehrlich gesagt, das ist dermaßen verkackt optimistisch, dass es beinahe komplett bescheuert ist. Sie hat einen Wirt, also ist sie mindestens so stark wie ich.
    Der Wirt der Drahtmeisterin springt vom Rücken des Wolfs und kommt im Laufschritt auf uns zu. Eine Wolke aus flirrendem Metall umschwirrt das Mädchen, und ich stelle mir vor, wie diese Ranken in den Fluss tauchen, wie sie das Wasser zu Schaum schlagen und damit die Spiegelbilder der Reflexokraten und Wölfe zerstören.
    Sie könnte alles wieder zunichtemachen.
    Du bist der Einzige, der sie aufhalten kann. Doch ich muss das nicht allein tun.
    Ich schreie, zum Teil aus Kampfeswut, hauptsächlich aber vor panischer Angst, als ich auf das stahlumwickelte Mädchen treffe. Von allen Seiten züngeln Drahtstränge auf mich zu, und ich schaffe es noch zu schreien, nur einen kurzen Satz, ehe mir die Stacheln die Lippen versiegeln.
    »Beth, hilf mir!«
    Beth blickte das Embankment entlang. Diese Stimme, die Stimme der Straßen, setzte ihre Muskulatur in Betrieb, obwohl Schwindel sie überwältigte und ins Stolpern brachte.
    »Fil!«, schrie sie. » Fil! Wo bist du?«
    Es kam keine Antwort, doch die brauchte sie jetzt auch nicht mehr: Ihr Blick fiel auf die riesige flirrende Wolke aus Draht unmittelbar am Ufer des Flusses. Bordsteinpriester versuchten, sich ihr zu nähern, aber die peitschenden Stränge hielten sie auf Abstand. Das Ungetüm jagte ihnen offenbar entsetzliche Angst ein.
    Ein grauer Arm schoss zwischen den Schlingen hervor, aus Tausenden winziger Schnittwunden blutend, in seiner Hand eine Eisenstange, doch die Drähte hatten sich um das Handgelenk gewickelt, sodass er mit der Waffe nicht zustoßen konnte.
    Beth stürzte auf das undurchdringliche Metallgewirr zu und riss an den stachligen Strängen. Die Windungen schlugen zischend übereinander, peitschten ihr ins Gesicht, ließen jeden Zentimeter ihrer Haut brennen vor Schmerz, aber sie zog ihre Hände nicht zurück, um sich zu schützen.
    Fil , dachte sie verzweifelt, Filius … halt durch!
    Dann warf sie sich mitten hinein in das Monstrum.
    Zwei Gestalten erwarteten sie: Fil, auf den Rücken geworfen, entsetzlich verkrümmt, sein Oberkörper übersät mit blutigen Striemen. Er bleckte die Zähne, sein Arm war erhoben, sein Speer bereit, doch die Drähte hielten ihn fest, und er vermochte sich nicht zu befreien.
    »Beth!« Er presste die Worte zwischen den Widerhaken in seinen Lippen hervor. »Beth, nimm meinen Speer. Töte den Wirt.«
    Aber Beth hörte ihn kaum. Sie starrte auf die zweite Gestalt in dem Drahtdickicht. Die zweite Gestalt starrte zurück.
    Pen sah aus wie die Comicversion eines Menschen auf dem elektrischen Stuhl, nur dass es statt Blitzschlägen Drähte waren, die um sie herum aufzuckten. Sie hielten sie in der Schwebe und spreizten ihre Glieder, zwangen sie in die Form eines X.
    Irgendein überflüssiger Teil von Beths Gehirn registrierte, dass Pen die Jeans trug, die sie ihr geliehen hatte – die Hose hatte schon im Secondhandladen ein bisschen schmuddelig ausgesehen, aber jetzt sah sie noch viel schlimmer aus, über und über verkrustet von Dreck und geronnenem Blut. Pens rechtes Nasenloch war zerfetzt, ihr Mund aufgerissen zu einem breiten Schlitz: ein schartiges Grinsen von Ohr zu Ohr.
    Doch ihre Augen waren noch so, wie Beth sie in Erinnerung hatte.
    Diese Augen erkannten Beth ebenso wieder wie Beth sie.
    »Beth! Hilf mir!« Der Schrei riss Wunden in seine Lippen, seine Eisenstange landete scheppernd vor ihr auf dem Pflaster.
    »Töte. Den. Wirt.« Alle Luft wurde ihm aus der Lunge gepresst.
    Voller Ekel und Panik kämpfte Beth sich vorwärts und griff nach den Drahtschlingen um Pens Kehle. Ihre Fingernägel bohrten sich in Pens Fleisch, während sie verzweifelt versuchte, die metallenen Stränge zu lockern. Die Widerhaken rissen ihr tiefe Wunden, Ströme von Blut rannen über ihre Handflächen.
    »Pen«, stammelte sie blöde, »Pen, bist du in Ordnung?« Ihre Freundin antwortete nicht; Pens Lippen waren grausig mit Draht zugenäht.
    Beth sah aus dem Augenwinkel, wie Fils Gesicht sich für den Bruchteil einer Sekunde vor Ungläubigkeit verzerrte, als litte er körperliche Qualen. Dann zerrten die Ranken des Drahtungetüms ihn über die Balustrade und schleuderten ihn in den

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