Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
Fluss.
Drähte wirbelten auf Beth zu und fesselten ihr Arme und Beine. Die Widerhaken bohrten sich ihr in die Haut, doch der Schmerz schien weit weg – alles war jetzt weit weg, abgesehen von dem verstümmelten Gesicht ihrer besten Freundin.
»Oh G-Gott, Pen … «, stieß sie mühsam hervor.
Plötzlich bemerkte Beth ein orangerotes Licht: Ein nacktes, leuchtendes Glasmädchen stürmte heran, mitten hinein in die schwirrende Drahtwolke. Der grelle Glanz brannte Beth in den Augen, aber sie schloss sie nicht. Sie konnte die Zeichen der Qualen lesen, die in Pens Haut geritzt waren. Das Glasmädchen kämpfte sich durch die Schlingen, bis es neben Beth stand, doch es sah sie nicht an. Beth spürte undeutlich, dass die gläserne junge Frau ihr bekannt vorkam, und in der nächsten Sekunde fiel es ihr wieder ein: Sie war die erste Natriumitin, der sie je begegnet war.
Oh Gott, Pen, es tut mir so leid.
Elektra hob eine Hand und richtete sie auf Pen, vor Anstrengung gleißend hell. Haarfeine Risse zuckten zu ihrer Schulter hinauf, dann streckte sie auch den anderen Arm aus und fiel in einen kreiselnden, streng gezügelten Tanz.
Die Glashaut an ihrem Brustkorb splitterte, wurde trüb. Winzige Bruchstücke lösten sich und hingen wirbelnd wie glitzernder Staub um sie herum in der Luft, gefangen in ihrem Magnetfeld.
Der Draht wich zurück, voller Widerwillen, Zentimeter für Zentimeter. Quälend langsam lösten die Widerhaken sich aus Beths Armen, schnitten ihr tiefe Furchen ins Fleisch. Ohne die Drahtschlingen, die sie aufrecht hielten, sackte sie zu Boden. Der lange Strang, der Fil noch immer unter Wasser drückte, war jetzt straff gespannt und wirkte beinahe zerbrechlich.
Beth, hilf mir!
Beths Zähne klapperten vor Entsetzen, dennoch tastete sie suchend herum und fand den Speer unmittelbar neben ihren Füßen. Knurrend vor Anspannung riss sie ihn hoch und durchtrennte die Drahtranke mit einem wüsten Stoß.
Als die Klinge des Speers es traf, zuckte das Monster unter Schmerzen zurück. Pens Gesicht verschwand wie hinter einem Schleier, während die Widerhaken sich um sie zuzogen, als wollte die Drahtmeisterin das pakistanische Mädchen an ihr Herz drücken. Dann, wie ein gigantisches Insekt, erhob sich das Ungetüm auf Aberhunderte spindeldürre Beine, nahm Pen mit sich hinauf auf die Brücke und huschte davon.
Pen …
»Fil!« Beth schwirrte der Kopf, sie war völlig erschöpft. Sie wollte dem Monster folgen, doch sie konnte nicht laufen. Kraftlos sackte sie auf die Knie und kroch hinüber zur Balustrade. Nichts regte sich auf dem Wasser. Ein plötzliches Wärmegefühl auf der Haut verriet ihr, dass das Glasmädchen neben ihr stand.
»Filius«, keuchte sie, »er ist da unten. Er ist … ich muss … « Sie versuchte aufzustehen, aber sie war zu schwach. Die Widerhaken des Drahtmonsters hatten ihr fast alle Kraft ausgesaugt.
Ein Parasit aus Stacheldraht hatte er es genannt. Oh mein Gott, Pen …
Sie schob sich zurück, schlug mit dem Unterkiefer gegen die Steine.
Elektra warf Beth einen mitfühlenden Blick zu. Gleich darauf schloss sie die Augen.
Für den Bruchteil einer Sekunde sah Beth die Angst hinter den durchsichtigen Lidern.
Dann richtete Elektra sich auf und warf ihren von Rissen durchzogenen Körper kopfüber in die Themse.
Einen Augenblick lang sah Beth ihr Leuchten, das aus der Tiefe heraufschimmerte. Dann begann das Wasser zu brodeln, zu kochen, und ein muffiger Gasgeruch erfüllte die Luft.
Beth lag da und starrte hilflos hinab auf den Fluss, vermochte jedoch nichts zu erkennen, bis schließlich zwei Körper durch die seichten Wellen brachen. Fil wimmerte auf, er war kaum bei Bewusstsein. Dort, wo Elektra ihn gepackt hielt, warf seine Haut rote Blasen und wurde kurz darauf schwarz. Elektras Hals war krampfhaft zurückgebogen, ihre grellweiß brennenden Knochen flackerten zischend. Mit aller Macht biss sie die Zähne zusammen, und obwohl ihre Leuchtadern allmählich vergingen wie verkohlende Sicherungen, schaffte sie es, den Jungen auf eine Sandbank zu zerren.
Der Schlick legte sich klebrig auf seine nässenden Brandwunden, und er rollte sich ein wie ein Fötus, um sich zu schützen. »Lek.« Es war nicht mehr als ein Flüstern, aber Beth hörte es deutlich bis hinauf auf den steinernen Damm. »Lek.« Er griff hinter sich, tastete nach der Hand des gläsernen Mädchens. Wo er sie berührte, ging seine Haut in Rauch auf.
Elektra lächelte. Sie blinkte etwas in ihrer eigenen Sprache, das Beth
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