Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
dir doch, Bruder, es waren vier«, verkündete der junge Priester in seinem näselnden Mile-End-Akzent gerade.
Die Bronzestatue auf der Matratze über ihm schnaubte verächtlich. »Vier, na sicher. Wer hat ’n dir das Zählen beigebracht, Keule? Da war der eine beim Fluss, dann der auf der Brücke und später noch einer bei diesem Backsteinklotz von Altenheim. Du Penner hast bloß drei Wölfe gekillt, Timon; pluster dich hier also nich so auf, als hätteste mehr drauf als ich.«
Timon zischte wütend, Spuckebläschen zerplatzten auf seinen Betonlippen. »Du bist echt schon ganz blind von all dem Grünspanzeugs auf deinem Gesicht, Al. Ich hab auch noch die fette rostige Misttöle unten am Ufer erledigt. Hab mir ihren Hals geschnappt und dann – « Er machte eine kräftige Wringbewegung mit seinen Händen.
»Herrje, Timon«, spottete Al, »diese Misttöle is doch schneller retour gekommen als die ungedeckten Schecks deiner Mum.«
»Lass ja meine Mum aus ’m Spiel! Du weißt ’nen Scheißdreck von meiner Mum.«
»Ich lass deine Mum aus ’m Spiel, wenn du mein Gesicht aus ’m Spiel lässt. Is halt aus Kupfer – ich kann nix dafür, dass das Zeug korrodiert. Außerdem weißte selber ’nen Scheißdreck von deinem Mütterchen; du bist schon viel zu lang Priester, also tu bloß nich so, als könnteste dich noch an sie erinnern.«
Timon fiel in ein unbehagliches Schweigen. Beth sah von ihrer Nadel auf. Etwas an seinem wehmütigen Stolz versetzte ihr einen leisen Stich. Sie verknotete den Faden und biss ihn ab, dann zog sie mit einem Plopp die Kappe von ihrem Filzstift.
»Ey, was – ?«, wollte Timon sich beschweren, verstummte jedoch, als er sah, was sie zeichnete. Vier stilisierte Wolfsköpfe erschienen auf seiner Betonschulter, knochig und Zähne fletschend: Siegeszeichen, wie auf die Rümpfe von Kampfjets gemalte Abschüsse.
»So, Timon, bitte sehr«, sagte sie. »Einen für jeden Feind, dem du’s gezeigt hast.«
Al vergaß sofort seine Eifersucht, als er staunend die neuen Abzeichen seines Freundes in Augenschein nahm. »Von den Teilen will ich auch ’n paar«, sagte er.
Timon saugte an seinen Vorderzähnen. »Jau, wir sind nich totzukriegen, Al«, erwiderte er. »Das hier is ’n Abzeichen für die ganz Harten.«
»Kannste sagen.«
Beth klickte die Kappe wieder auf ihren Stift und runzelte die Stirn. »Ich dachte, Bordsteinpriester könnten nicht sterben«, überlegte sie laut. »Petris hat doch erzählt, ihr wollt eure Tode zurück .«
Timon und Al brachen in höhnisches Gelächter aus. »Klaro können wir sterben, Miss B«, johlte Al. »Bloß dass wir einfach wiedergeboren werden. Haste ’ne Ahnung, wie sich das anfühlt?«
Beth schüttelte den Kopf.
Die grünen Augen hinter Als Kupfermaske blickten grausam starr. »Man is bloß ’n winziges Baby«, sagte er ruhig, »das in irgend’ner steinharten Krippe steckt. Kein Essen, kein Wasser, kein Licht, und keine Scheißahnung, wieso . Man hat ja nich sofort seine kompletten Erinnerungen parat, verstehste?
Manche von uns erinnern sich nie mehr«, fuhr er leise fort. »Was die Synode da veranstaltet, is eben keine allzu exakte Wissenschaft, klar? Erinnerungen an deine alten Leben trudeln nach und nach vielleicht wieder ein, bloß dass dabei ständig irgendwas fehlt und andres sich widerspricht. Angeblich hat Johnny Naphtha irgendwo ’n Kabuff voller Erinnerungen, Flaschen mit so ’ner Art Gedächtniskopie von uns, die er abgezapft hat, bevor er uns das erste Mal in der Mangel hatte. Hab keinen blassen Dunst, ob ich die Story glauben soll. Aber ich weiß , dass ich mich nich dran erinnern kann, ’n Verbrechen begangen zu haben, für das ich ’ne Verdammnis wie die hier verdient hätte.«
Kurz herrschte Stille. Beth spürte Timons Blick in ihrem Nacken.
Al räusperte sich und spuckte durch den winzigen Spalt zwischen seinen bronzenen Lippen. »Darf allerdings nich allzu laut jammern. Bei meiner letzten Wiedergeburt bin ich immerhin auf dem Friedhof gelandet, und ’n anderer Priester war nah genug dran, dass er mich weinen gehört hat. ’ne Menge von uns haben nich so viel Glück. Die findet nie einer … Nach all der Bambule werden sich heut Abend reichlich Babys in Statuen in ganz London wiederfinden, verlass dich drauf.« In seinen Worten lag bitterer Hohn. »Und die Wunden sind bloß der Anfang ihrer Probleme. Dafür hat eure Göttin schon gesorgt. Und genau deshalb wollen wir unsre Tode zurück.«
Beth ballte die Faust um den Stift
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