Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

und stand auf. Ihre Hand zitterte. All diese Leiber, zerschmettert, sterbend … Eure Göttin – »Ja«, sagte sie, »Tut mir leid, ich … ich bin … ich muss noch … « Sie drehte sich um und hastete aus der Nische.
    »Ey, Miss B!« Al hob träge einen bronzenen Arm. »Was is mit meinen Abzeichen?«
    Ezechiel fand Beth zusammengekauert inmitten alter Chipstüten und Pappen, die Arme um ihre Knie geschlungen; ein Platz im Nirgendwo dieser Mülldeponie im Nirgendwo. Der Steinengel schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Die Last der Schuldgefühle?«, fragte er.
    Sie antwortete nicht, und er ignorierte ihren zornigen Blick. »Ach komm schon, junge Dame«, sagte er, »ich bin mittlerweile seit knapp achthundert Jahren Priester. Wenn ich nicht wüsste, wie Gewissensbisse aussehen, sollte ich schleunigst meinen Beruf an den Nagel hängen und ein Blumengeschäft aufmachen.«
    Etwas zuckte kurz, und plötzlich stand er neben ihr, wuchtig mit seinen ausgebreiteten Kalksteinschwingen. »Sprich.« Es war keine Bitte. »Du wirst dich besser fühlen.«
    Beth starrte vor sich hin. Sie hatte keine Ahnung, wo sie anfangen sollte.
    »Flussblutsakrament«, seufzte Ezechiel. »Wie machen die das bei euch Menschen noch mal?« Knirschend ließ er sich neben ihr nieder. Risse erschienen in seiner Soutane und schlossen sich im nächsten Augenblick wieder. »Ich segne dich, Tochter, denn du hast gesündigt. Deine letzte Beichte ist – nun ja, allem Anschein nach eine Ewigkeit her, vermutlich sogar länger, jedenfalls überfällig. Erzähl aber bitte nur die wichtigen Sachen; ich hab weder Zeit noch Lust, mir irgendwas von einem Ladendiebstahl anzuhören, als du zehn warst. Wie auch immer, beichte frisch drauflos. Ich lausche.«
    Beth öffnete den Mund, stockte, und dann sprudelten die Worte nur so aus ihr heraus. »Das ist einfach zu viel. Leute folgen mir. Ich bitte sie drum … und sie folgen mir. So wie Fil und … und Pen, und auch all die andern aus Stein und aus Glas. Und ich versuch doch bloß, versuche wirklich zu helfen . Aber jetzt ist Elektra tot und Fil kurz davor … und diese Priester sind doch bloß Kids, und Pen … oh Himmel und Thems, Pen … oh Gott – « Sie verstummte, schnappte nach Luft.
    Das ebenmäßig modellierte Gesicht des Steinengels musterte sie. »Ich fürchte, ich hab dich falsch eingeschätzt, Miss Bradley«, sagte er sanft. »Schuldgefühle sind nicht dein Problem.«
    »Ach nein?« Beth schniefte die Tränen zurück. »Und was dann?«
    »Zügellose Egomanie.«
    Sie riss den Kopf hoch und dachte für einen Moment, der Engel wollte sie verscheißern, doch seine Stimme klang vollkommen ernst. »›Leute- pfuh -folgen- pfuh -mir!‹« Er machte sie haargenau nach, selbst ihre keuchenden Atemzüge. » ›Diese Priester sind doch bloß Kids.‹ Du darfst uns ruhig nach Herzenslust bevormunden, Miss Bradley, wir sind zwar alle mehrere Hundert Jahre alt, aber das macht ja nichts.«
    Dann schnaubte er verächtlich. »Jetzt mal im Ernst! Als hätten wir keine Augen zum Sehen und Köpfe zum Denken, so wie wir Füße und Hände haben zum Marschieren und Kämpfen.« Eine steinerne Hand packte Beths Kinn. Sie hatte die Bewegung nicht einmal wahrgenommen. »Hör mir gut zu. Das Folgende ist vielleicht schlecht für dein Ego, aber gut für dein Herz. Reach ist ein Monster. Er und seine Geschöpfe töten wahllos. Du weißt das, und wir wissen das auch. Wir folgen dir nur, weil du zufällig recht hast. Und wärst du nicht gewesen, wären wir eben jemand anderm gefolgt. Filius hätte schließlich sowieso gekämpft, mit dir oder ohne dich. Es ist der Wille der Göttin .« Seine Stimme schnarrte, der Eifer darin grenzte an Fanatismus. »Das Erscheinen von Flink und seinen heiligen Katzen beweist es. Du verkörperst derzeit Unsere Herrin, und ich respektiere das, aber bilde dir deswegen nur nicht ein, du wärst wichtiger, als du es tatsächlich bist. Wir alle sind Werkzeuge ihres Willens.«
    Er nahm seine Hand von ihrem Kinn und zog sich mit undeutlich flackernden Bewegungen von ihr zurück. Beth rieb sich über die Haut, dort, wo seine Finger gewesen waren. Die Quetschungen heilten bereits.
    »Ach, und Miss Bradley? Du bist so ziemlich die schlechteste Lazarettschwester, die ich je gesehen habe. Gossenglas’ Rüsselkäfer müssen ständig deine Wundnähte lösen und die Stiche neu setzen. Das ist unangenehm und bedeutet einen großen Zeitverlust. Um ihretwillen, falls nicht um deinetwillen: Wenn du helfen möchtest,