Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
Eierkartons und Bierflaschenetiketten übersäten den Boden zu ihren Füßen wie Fotografien, alte Bilder von jemandem, der für immer verloren war.
Das also hast du empfunden, Dad , dachte sie, während sie sie anstarrte, dass es nichts gab, was du tun konntest.
Die Hilflosigkeit brodelte in ihr, heiß und pechschwarz und giftig, so wie auch er sie gefühlt haben musste. Und sie hatte ihn dafür gehasst.
Es gibt nichts, was ich tun kann.
Sie beugte sich vornüber und weinte, unter Krämpfen. Es war eine Qual, Träne um Träne hervorzupressen, als wollte jede einzelne einen Teil ihres Inneren mit sich reißen.
Es gibt nichts, was ich tun kann.
Sie weinte sich leer, dann saß sie still da. Doch das Bild ihres Vaters, wie er mit seinem Buch in seinem Sessel hockte, hatte sich ihr ins Gedächtnis gebrannt, und sie konnte es nicht mehr abschütteln. Sie konnte sich nicht einfach dem Würgegriff ihrer Verzweiflung ergeben. Sie konnte nicht einfach dahocken, so wie er es getan hatte: gerade weil sie es ihn hatte tun sehen.
Schwerfällig stemmte sie sich wieder auf die Füße und blickte hinab auf die Delle, die sie hinterlassen hatte, eine kleine Einbuchtung im taunassen Dreck. Wenn er nicht gewesen wäre, hätt ich’s wahrscheinlich nie geschafft, wieder aufzustehen. Es war ein Geschenk, schoss es ihr durch den Kopf, ein Geschenk, das er ihr gemacht hatte, ohne es eigentlich zu wollen. Sie dankte ihm leise und wünschte, er könnte sie hören.
Dann machte sie sich auf den Rückweg hinunter zur Deponie. Es gab nichts, was sie tun konnte, doch irgendetwas musste sie tun.
Allmählich wandelte sich der Farbton des Himmels vom samtenen Dunkel der späten Nacht zur fahlen Düsternis des sehr frühen Morgens. Einer nach dem andern, wie ein langsames Herantröpfeln von Körpern, schleppten sich die Überreste ihrer Armee auf die Mülldeponie.
Die Natriumiten trugen ihre Verwundeten auf geflochtenen Bahren aus gelbem und schwarzem Isolierband: halb zerschmetterte Glasgestalten, denen mal Arme, mal Beine fehlten oder die sich verzweifelt in die eigenen Brustkörbe fassten, um mit spitzen Fingern die Leitungen aneinanderzuklemmen, die ihren Herzschlag aufrechterhielten.
Die Bordsteinpriester verwendeten Torpfosten als Krücken, doch es gab nicht genug für alle, sodass einige kriechen mussten. Eine Statue brach unter dem Gewicht ihrer granitenen Rüstung zusammen und keuchte immer wieder: »Keinen Schritt mehr … «, bis eine schlanke Tigerkatze sich aus den Reihen der Soldaten löste, um sich schnurrend an dem gestürzten Priester zu reiben, woraufhin dieser irgendwo in seinem tiefsten Innern noch genug Glauben fand, um ein paar Schritte weiterzugehen.
Als die Überlebenden die Mitte der Deponie erreichten, tauchten Ratten und Käfer und Kakerlaken auf. Mit Knirschlauten ihrer Mundwerkzeuge und ruckartigen Bewegungen ihrer schlanken braunen Köpfe lotsten sie die Verwundeten in Nischen, die in die Hänge der Müllberge gegraben waren. Wer zu schwer verletzt war, um irgendetwas anderes zu tun, ließ sich dankbar auf ausrangierte Matratzen fallen. Die noch einigermaßen bei Kräften waren, machten sich an die Arbeit, verbanden Wunden mit Streifen zerrissener Kleider und flickten zuckende Lampenleute mit alten Glühbirnen und den Scherben zerbrochener Champagnerflöten und Biergläser.
Ein Priester in einer einarmigen Statue führte die Aufsicht über das Feldlazarett. Er war gerade dabei, einer Horde eifriger Ratten eine Liste von Verletzungen vorzulesen, während um die klaffende Wunde in seinem marmornen Bauch langsam das Blut trocknete.
Überrascht hob der Priester den Blick, als Beth auf ihn zutrat. Ihre Augen waren völlig verweint. Sie krempelte sich die Ärmel hoch. »Was kann ich tun?«, fragte sie.
Er musterte sie durch die Sehschlitze in seinem Marmorgesicht. »Gibt ’ne mächtige Sauerei aufzuwischen«, erwiderte er. Auf seinen in Stein gemeißelten Lippen lag ein heroisches Lächeln. Er streckte ihr seinen Armstumpf entgegen. »Lust, uns ’n bisschen zur Hand zu gehen?«
Also bandagierte und nähte und lötete Beth und säuberte klebrige Wunden von Eiter und Blut. Arbeite , befahl sie sich, während sie an der Nadel zog und durch den Spalt in seinem Betongewand die klaffende Wunde im Oberschenkel eines jungen Soldaten schloss. Das hier waren ihre Soldaten; sie hatte sie gerufen und sie waren ihr gefolgt, so wie Pen es getan hatte, und sie schuldete ihnen ebenso viel.
Arbeite einfach.
»Ich sag’s
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