Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
zurück und spannte sämtliche Muskeln an, als Londons Armeen losstürmten.
Stein und Stahl schlugen donnernd gegeneinander. Beth spürte den Aufprall wie eine Erschütterung ihres Körpers. Die Wölfe brüllten, während ihre rostigen Fangzähne Granithäute aufschlitzten, als wären sie aus Papier, doch die Hymne der Priesterschaft erklang immer weiter. Obwohl der Chor jedes Mal etwas leiser wurde, wenn einer der Krieger fiel, brach der Gesang nicht ab.
»Wieso gra–«, begann Beth, dann stahl sich ein breites Grinsen auf ihr Gesicht, als sie begriff. »Sie graben .«
Im Schutz ihrer kämpfenden Brüder und Schwestern war ein ganzes Bataillon von Priestern auf die Knie gesunken und riss nun mit allen verfügbaren Händen das Felsgestein aus dem Boden. Schon klafften riesige Furchen in Reachs Gesicht.
Ich bin Reach , kreischten die Bagger vor Schmerzen.
Ein Wolf biss Winston Churchill den Kopf ab. Drei andere Statuen zerrten das Untier zu Boden, brachen dann jedoch vor Erschöpfung zusammen.
Unter Petris’ dröhnenden Kommandos knieten Mater Viaes Priester weiter am Boden und beteten: »Reach delenda est … Reach delenda est … « , beteten ihre Herrin an, indem sie kämpften, während ihre Finger sich unablässig in das Massiv aus Grundgestein und Zement gruben, aus dem Reach sich selbst herausgemeißelt hatte.
Einer der Priester schien anders zu sein als die andern. Er bewegte sich langsamer, und seine Strafhaut sah mehr nach gehärtetem Ton aus als nach Stein. Während er mit dem Bruchstück eines Stahlträgers an Reach herummeißelte, kam es Beth so vor, als wäre da etwas Vertrautes an ihm, auch wenn sie im Moment nicht recht wusste, was.
»Gut so, Jungs«, rief Petris, der mittlerweile knietief im Schlick von Reachs Kehle steckte. »Buddelt dem Bastard das Herz raus, A-Scheiße-men!« Aber um ihn herum sackte ein steingepanzerter Leib nach dem andern vor Erschöpfung in sich zusammen. Die Skelettwölfe schlugen und schnappten weiter nach ihren Gliedern, bis jeder der Priester sein zähflüssiges, klebriges Blut vergoss. Sobald sie zu Boden stürzten, waren sie von der mörderischen Trümmerlandschaft um sie herum kaum mehr zu unterscheiden.
»Reach delenda est« , skandierten sie, doch ihr Chor schwand.
Fil hörte, wie der Sprechgesang schwächer wurde. »Es funktioniert nicht«, murmelte er fieberhaft. »Wir brauchen Mater Viae. Wir brauchen meine Mutter. Wir brauchen den Brand – wir brauchen den Großen Brand, oh Thems … «
Beth wollte die Arme um ihn legen, aber er schüttelte sie zornig ab. Sein Gesicht war faltig, weiß wie Altpapier. »Ich war ein solcher Idiot . Es war unmöglich! Es war schon immer unmöglich – wie sollen wir je die Stadt befreien ohne den Großen Brand?« Er klang völlig verzweifelt.
Die Stadt befreien …
Beth wurde plötzlich ganz still. Irgendetwas in seinen Worten weckte eine Erinnerung und schleppte sie träge in ihr Bewusstsein. Trotz der tobenden Schlacht versuchte sie, sich zu konzentrieren. Sie erinnerte sich an das Knistern von Flammen auf einem brackigen Tümpel und an eine zähflüssige, ölige Stimme: »Dies ist eine besondere Feuersbrunst, eine überaus kostspielige Dienstleistung. Sie begleißt und befreit, erschüttert alles und erschafft alles neu … «
»Oh Gott«, flüsterte sie, »was, wenn sie genau deswegen nicht gekommen ist?«
Fil sah sie scharf an. »Weswegen?«
»Wegen dem Brand.« Der Gedanke war so simpel, so schrecklich banal, dass Beth ihn nur zögerlich aussprach. »Der Große Brand. Die mächtigste Waffe deiner Mum«, flüsterte sie. »Was ist, wenn sie ganz einfach deswegen nicht hier ist und kämpft, weil sie sie nicht mehr hat? Was, wenn sie sich ohne sie fürchtet ?«
»Was redest du da?« Verwirrung und Angst und Empörung zeigten sich auf Fils Gesicht.
»Du hast doch nie rausgefunden, was die Synode als Gegenleistung von ihr verlangt hat, richtig? Was, wenn der Große Brand der Preis war? Eine besondere Feuersbrunst, eine überaus kostspielige Dienstleistung . Was, wenn es das war, womit sie diese Öltypen bezahlt hat?«, fragte Beth, dann deutete sie mit einem Finger auf den verkrüppelten jungen Gott. »Als Preis für dich.«
Er schloss die Augen, und der letzte Rest Farbe wich aus seinem Gesicht. Jetzt sah er nicht mehr bloß ängstlich aus. Er sah tot aus. Doch als kurz darauf erneut der Boden bebte, öffneten sich seine Augen wieder und ein Anflug von gespannter, konzentrierter Selbstdisziplin lag in seiner
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