Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
Miene. »Beth«, sagte er leise, »ich muss dich bitten, etwas für mich zu tun.«
»Klar, sicher. Was du willst. Nämlich?«
»Nimm meinen Speer.«
Beth bückte sich und hob die Waffe auf. Das schwarze Eisen war klebrig von ihrem Blut. »Okay«, murmelte sie zögerlich.
»Ich werd jetzt bis drei zählen«, sagte er und schluckte. Er sah ihr direkt in die Augen. »Und dann musst du ihn mir ins Herz stoßen.«
Beth fiel beinahe der Speer aus der Hand. »Was?«, brüllte sie. »Bist du jetzt völlig durchgedreht ? Ist dir mit all dem Blut auch noch das Hirn ausgelaufen?«
Doch sein grauer Blick war so klar und vernünftig und traurig, wie sie ihn noch nie gesehen hatte. Kein Zweifel, er meinte es ernst. »Warum?« , hauchte sie.
Sein Lächeln wirkte zerbrechlich. »Weil’s anscheinend in der Familie liegt, sich mit der Synode auf schlechte Deals einzulassen.«
Für eine Sekunde starrte Beth ihn an, überlegte, ob die Schmerzen und die Enttäuschung und der Blutverlust ihn am Ende vielleicht hatten verrückt werden lassen. »Wovon redest du – ?«
Dann brach die Erkenntnis über sie herein wie eine Lawine. »Du hast gelogen «, fauchte sie ihn an. »Ich hab dich damals direkt gefragt, was du ihnen versprochen hast: ›Irgend’ne Zutat, nichts, wofür ich zu Lebzeiten ’ne Verwendung hätte.‹ Das waren deine Worte.«
»Genau genommen war’s nicht gelogen.« Fil versuchte sich an einem Schulterzucken. »Ich hab ihnen nämlich meinen Tod versprochen.«
Voller Entsetzen sah Beth ihn an. Ihr wurde übel bei dem Gedanken an ihre Mitschuld, an ihre bereitwillige Leichtgläubigkeit. Sie blickte auf ihre asphaltgraue Haut. Wie hatte sie ernsthaft glauben können, dass irgendeine kleine beschissene Zutat ihr solche Schnelligkeit, solche Kraft erkauft hatte?
Fil sprach hektisch. »Wir brauchen Johnny Naphthas Jungs hier , Beth, jetzt sofort, Thems weiß, wie sehr. Wenn die wirklich den Großen Brand haben – « Er deutete mit dem Kopf Richtung Schlachtfeld. »Solange das Chaos da draußen noch tobt, haben wir eine Chance. Sie werden kommen, zu mir, um sich zu holen, was ich ihnen schulde. Bring sie her, führ sie mitten hinein in die Schlacht, verstehst du? Reach wird sie dort nicht dulden, so wenig wie er mich dort geduldet hat. Sieh zu, dass du sie irgendwie mit hineinziehst .«
» Falls «, blaffte Beth zurück, » falls sie kommen – falls sie den Brand überhaupt haben. Falls . Falls . Falls . Das sind doch alles bloß verkackte Vermutungen. Scheiße, Fil, was, wenn du falschliegst? Was, wenn ich falschliege?« Sie flehte darum, dass sie falschlag – wünschte es sich verzweifelt. Sie wünschte, sie könnte ihre verräterischen Worte aus der Luft schnappen und sie sich zurück in den Mund schieben.
Der grauhäutige Junge sah sie an. »Dann liegen wir eben falsch«, sagte er, »aber es ist unsere Stadt, die da draußen stirbt, und so langsam gehen mir echt die Ideen aus.«
Beth hob den Speer. Sie spannte ihre Schulter an, biss die Zähne zusammen, doch sie brachte es einfach nicht fertig zuzustoßen. Tränen verschleierten ihren Blick, als all ihre kaum gestaltete, verzweifelte, unausgesprochene Liebe zu diesem Jungen sie überwältigte. Sie wandte sich ab, unfähig, seinen Blick zu ertragen.
»Ich kann nicht«, sagte sie. »Das ist zu viel.«
Seine Stimme wurde hart. »Es ist nicht deine Entscheidung, Beth.«
Sie spürte, wie seine Augen, die von derselben Farbe waren wie die Stadt, die sie sich womöglich zu retten weigerte, sich in ihren Rücken bohrten, aber sie konnte das hier einfach nicht tun. Der Preis war einfach viel zu hoch.
Als Fil wieder sprach, war seine Stimme ein Flüstern. »Weißt du noch, was Petris gesagt hat? ›Die Konturen, die Grenzen, die Definition des Lebens‹? Das hier ist meine Definition, Beth. Ich entscheide mich genau jetzt dafür: Ich entscheide mich für die Chance, dass du richtigliegst. Wenn du mir diese Möglichkeit nimmst, bist du kein Stückchen besser als meine Mutter.«
Beth schluckte hart und würgte kurz an der Mischung aus salzigen Tränen und Luft, während sie fieberhaft versuchte, auf eine neue Idee zu kommen, eine andere Erklärung zu finden, irgendetwas, das sie bisher übersehen hatten. Denk nach, Bradley, denk nach , herrschte sie sich an, aber ihr fiel nichts ein.
In diesem Augenblick hasste sie Filius Viae mit solcher Wucht, wie sie noch nie einen anderen Menschen gehasst hatte. Sie wollte seinen grässlichen Speer einfach von sich schleudern,
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