Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
in die Haut über ihrem Brustbein. Sie verlor die Kontrolle und schrie, doch Kieferklauen bohrten sich in die Haut ihrer Kehle, und der Ton in ihrem Hals erstarb, als wäre er abgesaugt worden.
Die Tiere strömten ihr über die Schultern, auf ihre Ohren zu. Beth konnte sie Drahtfäden aus ihren Hinterleibern spinnen sehen. Das statische Rauschen ihrer Stimmen klang jetzt fieberhaft schrill.
Wir lieben dich wir lieben dich wir lieben wir lieben dich wir lieben dich …
Die geraubten Worte pulsierten umher in Beths Geist, erstickten ihre Panik wie Morphium. Verzweifelt versuchte sie, sich an ihre Angst zu klammern, an diese wahre Empfindung, das einzige gesunde Gefühl in ihrer Lage, doch sie spürte, wie es unter der Liebe der Spinnen erstickte.
Verzweifelt fuchtelte sie mit ihrem freien Arm, schlug nach den Tieren, zermalmte ein paar, die sich mit statischem Knistern in nichts auflösten.
Wir lieben dich , fauchten die Stimmen böse, aber du hast alles noch schlimmer gemacht .
Der Gedanke durchbohrte Beth wie eine Lanze. Erschöpft und benommen sackte sie gegen den Stahl. Ihre Panik kam ihr jetzt vor wie etwas weit Entferntes.
Ein Flackern erfüllte die Luft: Durch das hohle Turminnere schoss eine graue Gestalt auf sie herab. Ein knochiger Arm packte sie hart um den Bauch, dann fiel sie, sich ihrer selbst kaum bewusst, ebenso wenig des Sturzes.
Wie betäubt hob Beth den Blick, sah Fil, der sie umklammert hielt. Er brüllte sie an, sein Gesicht war aschfahl –
– aber kein Laut drang aus seinem Mund.
Wir lieben dich wir lieben dich wir lieben dich wir lieben dich . Das war alles, was sie hören konnte. Schlimmer, schlimmer, schlimmer.
Er sprang von Strebe zu Strebe, bremste allmählich ihren gemeinsamen Sturz. Bei jedem Aufprall ging ein Ruck durch Beths Körper, bis sie endlich am Fuß des Turms im nassen Gras landeten.
Fil kam mit einem Satz auf die Füße und stieß wütend mit dem Finger nach ihr. Ein paar Sekunden lang war nichts zu hören, dann begann seine Stimme in seiner Kehle zu knistern. »Bei Thems und dem Blut der Flüsse!«, fluchte er. »Mit Amnestie hab ich nicht gemeint, dass du deren verschissenem Fressvorrat einfach den Stecker rausziehen kannst!«
Beth glotzte ihn an. Taumelnd erhob sie sich auf ein Knie. Die Stimmen der Spinnen verklangen, wichen einem Gefühl von Übelkeit, als die Angst zurückkam. Das schreiende Gesicht des rothaarigen Mädchens verdrängte alles andere aus ihrem Kopf. »Da ist jemand«, keuchte sie, »da oben – «
»Die Kleine mit den fuchsroten Haaren?«, erwiderte er. »Japp, ich weiß. Glücklicherweise dürften die’s trotz deiner Rumkasperei geschafft haben, sie wieder anzuschließen, sodass ich hoffentlich noch immer ’nen Deal mit ihnen hab.«
»’nen Deal ?«, brüllte Beth ihn an, und ihr Entsetzen ging nahtlos in Wut über. »Wie kannst du ’nen Deal machen mit diesen Viechern? Wir müssen ihr helfen, sie ist ’ne Gefangene !«
»Wirklich?« Sein Tonfall verriet gespieltes Entsetzen. »So wie ich das sehe, hat die Kleine erst angefangen zu schreien, als du ihr das Kabel rausgezogen hast.«
Beth war sprachlos. Sie klappte den Mund ein paarmal auf und zu, ehe sie antworten konnte. »Du meinst, sie will da oben sein?«
»Wieso nicht? Ihr Hirn verbringt jetzt jede Minute damit, in Liebe zu versinken, sich mit Liebe überschwemmen zu lassen. Vorher ist sie ganz allein gewesen – das sind sie immer. Deswegen werden sie vom Mutternetz ausgewählt. Es findet sie auf der Straße, verloren, einsam, bibbernd vor Kälte, in ihren Händen den letzten Rest Kleingeld für ’nen allerletzten Anruf bei Leuten, denen sie scheißegal sind. Ihre Verzweiflung wirkt auf das Mutternetz wie ein Leuchtfeuer: Es richtet sich darauf aus, und dann macht es ihnen sein Angebot.«
»Was passiert, wenn sie sich’s wieder anders überlegen?«
Fils Züge verhärteten sich, doch er wandte den Blick nicht ab. »Ist ’n einmaliger Deal. Die Voltspinnen überlegen sich’s nicht anders.«
Plötzlich sah Beth ihren Vater vor sich, den sprudelnden Quell seiner Trauer. Sie vermochte sich auszumalen, wie er Tränen der Dankbarkeit weinte, während eine Horde Spinnen ein Kabel an seine Lippen schleppte und ihm mit ihrem beruhigenden Singsang die Ohren füllte.
»Das ist Schwachsinn «, blaffte sie. »Es spielt keine Rolle, wie schlecht es ihnen geht, wie weit unten sie sind: Menschen heilen . Du kannst nicht einfach zusehen, wie sie sich auf diese Art selbst begraben. Du
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