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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Pollock
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– näher heran an die Stimmen.
    »Ich liebe dich« , flüsterten sie.
    »Hey!« Mit seiner Eisenstange schlug Fil der Spinne hart auf den Rückenschild. »Lass das!«
    Die Stimmen verklangen wieder zu einem Hintergrundrauschen, und Beths Kopf klarte auf. Sie schauderte. »Was war das?«, keuchte sie. Das Spinnenbein lag kühl wie Stahl über ihrem Bauch. Sie versuchte es wegzuschieben, aber es rührte sich nicht.
    »Fil!«, beschwerte sie sich.
    »’n bisschen übereifrig … «, murmelte er. Er beugte sich dicht zu der Spinne hinüber, bis ihre Stirnen sich berührten. »Hör auf damit, du kleiner Scheißefresser. Verstanden?«
    Das Wesen summte statisch.
    »Klar, da wett ich drauf, dass du sie bloß ’n bisschen entspannen wolltest.« Er schnaubte zornig. »Mach das noch mal, und ich werd dich entspannen: und zwar für immer. Auf das größte Stück Karton, das ich in die Finger kriege.«
    Das Geschöpf krümmte die Vorderbeine, offenbar eine Geste der Unterwerfung.
    Fil schaute hinauf zu Beth. »Alles okay?«
    Sie erwiderte seinen Blick. Ihr Herz hämmerte wild, und sie fühlte sich, als würde ihr jeden Moment übel werden, doch sie hatte immer noch seine Worte im Ohr, seit ihrem Gespräch an der Brücke: Glaubst du ernsthaft, du wärst mir nicht ständig ein Klotz am Bein? Sie würde keine Angst zeigen. »Mir geht’s gut.«
    Fil lehnte sich erneut zur Spinne hinüber und flüsterte dem Tier etwas zu. Eins der Vorderbeine griff nun auch nach ihm. Als er sich nicht dagegen sträubte, beruhigte Beth sich. Für den Bruchteil einer Sekunde sah sie ihr Gesicht, das sich verzerrt in der Rundung des wuchtigen Exoskeletts spiegelte – dann trug die Riesenspinne sie beide davon, huschte hinauf und über die Telefonleitungen, mit solchem Tempo, dass Beths jeweils letzter Atemzug hinter ihr in der Luft zurückblieb.
    Häuser, Straßen, Fabriken, Autos wischten unter ihnen vorbei: verzerrte Lichter, tosender, rauschender Lärm. Vor Beths Augen wurde Filius seltsam grobkörnig und verblasste allmählich. Sie spürte, wie ihr Körper zu prickeln begann, sah, wie ihre Hand sich in Pixel auflöste. Es verschlug ihr den Atem, doch mit jeder Sekunde schwand ihre Angst. Das Pulsieren der Spinne beruhigte sie.
    Aller Sinn für Bewegung verging. Die Zeit wandelte sich. Die Stadt verlor an Schärfe, wurde dunkel, konturlos. Was real, was klar und lebendig war, war das Netz : Kabelstränge wanden sich zwischen den schemenhaften Gebäuden hindurch oder verliefen unterirdisch, zogen sich leuchtend kreuz und quer durch die städtische Finsternis, erfüllt vom Gewirr plaudernder Stimmen.
    Ein Gebilde erhob sich am Horizont: ein schlanker Stahlturm, flirrend vor Helligkeit und Geräusch, der von einem Hügel im Süden der Stadt aufragte. In ihm bündelten sich die Stränge des Netzes. Er wuchs stetig, gleißte, überstrahlte den Himmel, versengte Beths Augenlicht. Das Gemurmel unzähliger Gespräche schwoll zu einem ohrenbetäubenden Rauschen –
    – dann herrschte nichts als Schwärze. Das Licht erlosch jäh wie ein Streichholz, das man ins Wasser taucht; die Stimmen verstummten. Beth taumelte vorwärts und klammerte sich an ein Metallgeländer. Frostiger Wind zerrte an ihr, und sie tastete suchend umher, während ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten. Sie befand sich weit oben.
    Richtig weit oben.
    Sie stand auf der Plattform eines stählernen Turms. Sie brauchte einen Moment, um die ineinander verflochtenen Streben des Crystal-Palace-Sendemasts zu erkennen. Die Stadt schimmerte weit mehr als hundert Meter unter ihr wie eine Heerschar von Glühwürmchen durch die Dunkelheit.
    »Ich bin auf dem Cryst–« Sie rang nach Atem, und ihre Haut prickelte angesichts des gewaltigen Nichts , das zwischen ihr und dem Abgrund lag. »Ich bin auf dem Crystal Palace Tower? Das ist – das ist wunderschön.« Ein hysterisches Lachen perlte aus ihr heraus, als sie begriff, welche Distanz sie zurückgelegt hatten.
    Spinnen nicht größer als die, die man in jeder Wohnung findet, flackerten rund um sie auf, erschienen und vergingen, krabbelten überallhin, hantierten mit ihren spitzen Gliedern hektisch an Drahtrollen und Satellitenschüsseln herum. Die Spinne, die sie getragen hatte, erzitterte, dann zersprang sie in Hunderte kleinere achtbeinige Körper, die flink in der wimmelnden Masse verschwanden.
    Beim Anblick der flitzenden Leiber mit ihren wackelnden winzigen Glasköpfen erschauderte Beth. Während ihr Gehör sich allmählich anpasste,

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