Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
kannst nicht zulassen, dass man sie vor eine solche Wahl stellt. Diese Viecher nutzen sie verdammt noch mal doch bloß aus!«
Der Straßenprinz richtete sich langsam zu voller Größe auf. Seine Worte loderten vor Verachtung. »Tja«, sagte er, »Dank sei Mater Viae, dass sie dich geschickt hat, um uns die Irrtümer unsrer Lebensweise vor Augen zu führen.«
Er spuckte auf den Boden. »Wie kommst ausgerechnet du dazu, zu entscheiden, wie viel Menschen ertragen können, bevor sie rauswollen?«, fragte er. »Außerdem, selbst wenn du recht hättest, was ist mit den Spinnen? Das ist verflucht noch mal ’ne komplette Spezies – glaubst du, sie könnten nicht fühlen? Und denken? Und lieben? Es gibt für sie keine andere Nahrung, Beth. Egal wie sehr du und ich uns das auch wünschen, es gibt keine andere. Sie brauchen eine Stimme, und wenn sie die nicht kriegen, verhungern sie. Sie können nichts dafür, genauso wenig wie ich, also hör auf, mich so anzusehen.« Sein Ton war ausdruckslos. »Hier steht das Leben von mehr Wesen auf dem Spiel als nur von denen aus Fleisch und Blut, denen mit vier Gliedmaßen, denen, die aussehen wie du . Das solltest du besser begreifen, und zwar schnell, sonst killst du unsre Armee schon, bevor Reach seine Kräne überhaupt in Gang setzt.«
Beth biss sich auf die Lippe und senkte den Blick. Sie hörte noch immer die Echos der zischenden Stimmen, die die Spinnen geraubt hatten. Alles noch schlimmer. Ihr Geist schien ihr schmutzig, wundgekratzt.
Fil starrte sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Was haben sie dir gesagt?«, fragte er schließlich. »Es war nicht bloß das übliche Liebesgesäusel, oder? Was haben sie noch gesagt?«
Wieder biss sich Beth auf die Lippe, wich seinem Blick aus. Sie antwortete nicht. Über den fernen Stoppeln der Stadt zog die Morgendämmerung herauf. Fil drehte sich um und ging mit staksigen Schritten davon, ohne ein weiteres Wort.
»Wer kann denn dann was dafür?«, rief Beth ihm nach. »Wenn du nichts dafür kannst und sie auch nicht, wessen Schuld ist es dann, dass ich die Beute von diesen Viechern bin?« Sie betonte das Wort voller Bitterkeit.
Er blieb stehen. »Diejenige, die sie so geschaffen hat«, sagte er nach einer Weile. »Mater Viae. Meine Mutter.«
Kapitel 12
»Ob ich wohl kurz mit Parva sprechen könnte, bitte?«
Pen spähte durch ihre Schlafzimmertür. Von ihrem Bett aus konnte sie gerade so eben die offene Haustür im Erdgeschoss sehen und davor auf der obersten Stufe einen Mann mit einer kochschinkenrosa Glatze.
»Tut mir wirklich leid, Sir«, sagte ihre Mutter in ihrem leiernden Englisch. »Sie ist sehr krank gewesen. Sie liegt noch immer im Bett.«
Pen sah sich langsam in ihrem Zimmer um. Drei Tage saß sie jetzt hier fest. Es roch wie im Krankenhaus, und allmählich kam es ihr auch wie eins vor. Die Lamm-Samosas, die ihre Mum ihr regelmäßig gebracht hatte, hatte sie der Reihe nach unterm Bett verstaut. »Aap ki pasandeenda« , hatte ihre Mutter jedes Mal gesagt, »dein Lieblingsessen!« Dass Pen nach mühsamem Kampf mittlerweile Vegetarierin war, wurde mit einem erstaunlichen Handstreich mutwilliger Amnesie einfach beiseitegewischt, jetzt, da sie zu Hause in der Falle saß. Sie roch förmlich, wie das Gebäck und das Fett aus dem Fleisch zu einem Torpedo verschmolzen, der sämtliche Arterien zum Platzen brächte.
Sie hatte seit Tagen keine Gedichte gelesen. (Ihr Vater würde ihr eine scheuern, falls er je das John-Donne-Heft entdecken sollte, das sie in ihr Biologie-Lehrbuch geklebt hatte. Mit typischer Unbeholfenheit würde er vermutlich gerade genug von dem elisabethanischen Englisch verstehen, um auf die zotigen Stellen zu stoßen.) Sie fing langsam an, sich ernsthaft krank zu fühlen.
»Könnte … könnte ich dann vielleicht nur ganz kurz zu ihr nach oben und mit ihr sprechen? Ich würde auch nicht lang … « Die Stimme brach ab. Der Mann klang verängstigt – und bei dem Blick, den ihre Mutter ihm angesichts eines solchen Vorschlags wahrscheinlich zuwarf, konnte Pen es ihm nicht verdenken.
»Guten Tag .« Die Tür fiel krachend ins Schloss.
Eine Weile lang saß Pen einfach da und zupfte sich die Haut von den Fingerkuppen und Handflächen. Es tat kaum noch weh, wenn die Fetzen sich lösten wie lockige Bleistiftspäne. Die untere Hautschicht war erschreckend rosa verglichen mit ihrem normalen Teebraun. Bald würde keine Haut mehr übrig sein, die letzte Woche irgendetwas berührt hatte. Natürlich hätte sie sich
Weitere Kostenlose Bücher