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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Pollock
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also«, kehrte sie zu ihrem unterbrochenen Gespräch zurück, »wir sind total am Arsch.« Sie achtete darauf, ihr Gesicht von Steve wegzudrehen, damit er ihre Lippen nicht lesen konnte.
    »Das hab ich weder gesagt noch gemeint«, protestierte er. »Es ist ganz einfach: Wir brauchen nichts weiter zu tun, als diesen übersichtlichen Haufen da« – sein Daumen wies auf die bunt zusammengewürfelte Schar im Park hinter ihm – »ostwärts über die Brücke und in die City nach Blackfriars zu bugsieren, ihn in Formation zu bringen und anschließend auf St Paul’s zumarschieren zu lassen, ohne dass die alte Trümmerfresse davon was spitzkriegt.«
    »Japp«, erwiderte Beth und tunkte ihren Haferkeks in den Tee, »bloß dass die Weißhells und Bernsteinmädels sich gegenseitig an die Gurgel springen, sobald sie keine hundert Meter mehr voneinander entfernt sind. Wahnsinnig unauffällig, ganz bestimmt. Und die Bordsteinpriester sind fest entschlossen, Reach mit wehenden Fahnen und ’ner verkackten Fanfare anzugreifen. Außerdem hab ich nicht den blassesten Dunst, wie wir die Hunde bändigen sollen. Was genau passiert noch mal, wenn Reachs Truppen uns in freier Wildbahn erwischen?«
    Vorsichtig hob Fil seine Teetasse wieder zum Mund und warf Beth dabei verstohlene Blicke zu, um sicherzugehen, dass er es richtig machte.
    »Sie zerfetzen uns wie ’nen prallvollen Müllsack«, antwortete er. »Vermutlich.«
    »Oh, dann sind wir also bloß vermutlich total am Arsch.«
    »Genau.«
    Ein langes Schweigen folgte.
    Keiner von beiden hatte bisher den Kuss erwähnt. Dieser Augenblick in Canary Wharf schien in der Zeit gestrandet, wie ein einsamer Schrei, der beantwortet werden muss, bevor sein Echo verklingt, oder er ist für immer vergessen.
    Sieh dich ja vor mit diesem Kuss , mahnte Beth sich streng. Immerhin waren sie im Krieg. Sie dachte an ihren Vater, in Kummer erstarrt an seinem Küchentisch. Wie sollte man je guten Gewissens einen anderen Menschen lieben – ja, sie ließ zu, dass sie das Wort lieben dachte – , wenn nicht mal sicher war, dass er die Nacht überlebte?
    Fil hatte sich in ein ziemlich einseitiges Wettstarren mit dem letzten übrig gebliebenen Keks vertieft.
    »Damals kam mir all das noch wie ’ne gute Idee vor«, murmelte er. »So einfach: ein Mädchen treffen, ’ne bunt gemischte Armee aufstellen, ’nen Großangriff auf den Wolkenkratzergott starten.« Er glotzte auf seinen Kontrahenten. »Haferkekse essen.«
    Ein Mädchen treffen . Beth sah vorsichtshalber stur geradeaus und hielt den Mund.
    »Hast ja recht«, brach er schließlich das Schweigen, »wenn man’s so ausdrückt, klingt das Ganze nach ’ner echt miesen Idee. Aber das ist mindestens zur Hälfte deine Schuld. Ich bin ja von Anfang an fürs Verduften gewesen. Ich hätt mich schneller verzogen als ’ne Kanalratte durchs Abwasserrohr. Bloß deinetwegen bin ich noch hier.«
    Beths Lächeln war dünn. »So bin ich, wie der Sirenengesang zur Selbstzerstörung.«
    Eine Weile lang blickte er hinaus aufs Wasser, und dann, so viel später, dass es fast wie aus dem Zusammenhang gerissen wirkte, sagte er: »Trotzdem bin ich froh. Froh, dass ich geblieben bin.«
    Sie sah ihn an. »Auch wenn das Ganze ’ne miese Idee war?«
    »Auch dann.«
    Beth betrachtete das Pflaster zu ihren Füßen, als könnte das Spaltenmuster zwischen den Steinen ihr die Verästelung ihrer möglichen Zukünfte aufzeigen. Dann kippte sie den letzten Rest Tee darüber aus und stand auf. »Fil, können wir uns kurz unterhalten?«
    Sie verabschiedete sich stumm von dem Weißhell und ging Fil voraus durch die Reihe der Bäume, unter die Kronen der riesigen Buchen. Vertrocknetes Laub raschelte unter ihren Füßen. Schließlich drehte sie sich zu ihm um. Ihr Herz verkrampfte sich heftig, doch dann sah sie, dass er bereits ahnte, was sie sagen wollte.
    Der Ausdruck auf seinem Gesicht war weder verletzt noch gleichgültig – beides hatte sie am meisten befürchtet. Stattdessen verrieten seine grauen Augen gespannte Aufmerksamkeit. »Geht es um letzte Nacht?«
    »Ja.«
    »Du glaubst, dass es ein Fehler war.«
    Beth schluckte einen Brocken Luft. »Ja.«
    »Du glaubst … was eigentlich? Dass es uns ablenkt? Zu riskant ist?«
    »Ja.«
    »Du findest, wir sollten bloß Freunde sein?«
    »Ja.«
    Er trat dicht an sie heran. Sein in der Kälte wolkiger Atem legte sich auf ihr Gesicht. »Lust auf ein zweites Mal?«
    »Ja … «
    Eigentlich hätte da irgendwo am Ende ein Aber stehen sollen, doch

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