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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Pollock
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anstacheln, immer neuen waghalsigen Schwachsinn auszuprobieren zum Ruhm ihrer Geschlechter (von ihren Spezies mal ganz zu schweigen). Er würde einem erzählen, wie er Seite an Seite mit seiner Mutter gegen die Kräne gekämpft hat; wie sie gemeinsam den Mond mit ’nem Lasso gefangen und an den Himmel gezerrt haben, um ihn dann dort hängen zu lassen wie ’nen alten Reifen an einem Seil. Er würde einem in Erinnerung rufen, wie bei ihrem Gesang der Fluss aufgehört hat zu fließen, und dass sie ihm mal einen Asphaltkuchen gebacken hat, der so groß gewesen ist (dabei würde er seine sechs Jahre alten Knirpsärmchen so weit ausbreiten, wie es geht) und den er ganz allein komplett verputzt hat – na klar hat er das, hält ihn hier etwa irgendwer für ’n Mädchen ?
    All das würde er einem erzählen, und es wäre vollkommen wahr, für ihn, weil er sich daran erinnerte . Er hatte die gläsernen Bauten in seinem Kopf errichtet. Und es sollte noch eine lange Zeit vergehen, bis er den Unterschied sah zwischen diesen Fantasiegebilden und den älteren, tieferen Wahrheiten, die sich in ihnen spiegelten.
    Einmal, als ich schon ein ganzes Stück älter war und all diese Beinaheerinnerungen, die ich mir ausgemalt hatte, so gut wie vergessen waren, glaubte ich, ich würde Mater Viae jetzt endlich im wirklichen Leben begegnen.
    Ich stand in einer Seitengasse der Old Kent Road, da fiel plötzlich eine Mülltonne um und eine streunende Katze schoss daraus hervor, und ohne dass ich heute noch den Grund dafür wüsste, dachte ich: Das ist Flink. Ich war mir absolut sicher, dass schon in der nächsten Sekunde weitere Katzen aus dem Schatten strömen würden wie eine schnurrende, fauchende, von Flöhen zerbissene Flut. Und dann werd ich sie sehen, und dann werd ich endlich wissen …
    Aber die Buchstaben auf den Straßenschildern blieben dieselben, so unnachgiebig ich sie auch anstarrte, und obwohl ich noch immer dort stand, lange nachdem das einsame Fellknäuel irgendeinen winzigen Leckerbissen aufgestöbert hatte, auf den es Jagd machen konnte, zeigten sich keine Katzen mehr. Ein Fuchs tauchte auf und ein Drogendealer, der mich nicht bemerkte, und ein Pärchen, zwei seiner Kunden, die zu high waren, als dass sie sich darum scherten, wer ihnen zusah, wie sie sich für einen schnellen Fick gegen die Mauer drückten – doch keine anderen Katzen.
    Und ganz ehrlich? Mehr als alles andere fühlte ich mich erleichtert – weil all meine Fantasiegebilde, all diese Beinaheerinnerungen weiter unangetastet blieben.
    Das war etwas wert.

Kapitel 32
    »Wieso kannst du nicht einfach zugeben , dass du nicht den blassesten Schimmer hast, was du tust?«, fragt Ezechiel. Er macht sich nicht die Mühe, den Ausdruck seines monolithischen Zweitgesichts zu verändern, doch obwohl der steinerne Mund noch immer ein Hosianna singt, lässt sich dahinter das verächtliche Zucken seiner Oberlippe erkennen.
    »Ich mein’s ernst«, sagt er zum wiederholten Mal, »denn wenn du weiter bei deiner dreisten Behauptung bleibst, du wüsstest, wie man eine Armee führt, und gleichzeitig völlig schwachsinnige Anweisungen gibst, dann werde ich meinen Jungs sagen müssen, dass der Spross ihrer Göttin ein Hornochse ist. Es wäre ein Schlag für die Moral, aber den würde ich in Kauf nehmen, statt das Risiko einzugehen, dass auch nur einer von ihnen tatsächlich auf dich hört.«
    Wir stehen am Embankment, an der Nordseite der Chelsea Bridge. Ezechiel hat hier seinen Sockel, an einer Ecke der Ranelagh Gardens beim Royal Hospital. Die wuchtigen Mauern des altgedienten viktorianischen Pflegeheims ragen hinter uns auf; das Gebäude wird gerade von Grund auf instand gesetzt, und ich mustere unruhig die Gerüste um seine Backsteinhülle, obwohl sich dort nichts regt. Wahrscheinlich ist es gewöhnlicher, lebloser Stahl, doch im Moment macht mich der Anblick eines Gerüsts eben reichlich nervös.
    Beruhige dich, Filius , sage ich mir streng und versuche, Ezechiel meine volle Aufmerksamkeit zu widmen. »Was ist so dämlich an der Idee?«, erkundige ich mich und finde, dass ich ziemlich besonnen klinge.
    »Das ist ’ne dämliche Frage.«
    Der Rest meiner Geduld vergeht zischend in einem genervten Seufzer. »Hör zu«, blaffe ich, »wir müssen ’ne Möglichkeit finden, wie wir das Überraschungsmoment nutzen können, und wenn hundert verschissene Tonnen behauener Felsbrocken auf Wanderschaft gehen, ist das leichter gesagt als getan. Mit dem Lampenvolk bleibt uns schlicht

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