Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
Gestrüpp lange genug, um sich mit einem verlegenen Schulterzucken zu Beth umzudrehen, aber noch ehe er etwas sagen konnte, schnitt sie ihm das Wort ab.
»Später«, flüsterte sie, zitternd vor einem Wirrwarr aus Erleichterung und schmerzlicher Enttäuschung und einer Art Vorfreude, bei der ihre Knie sich anfühlten wie aufgeschnürte Knoten. »Ich weiß.«
Vier geschmeidige Katzengestalten streiften in weiten Bögen durchs Gras, auf jenen rätselhaften Pfaden und Umwegen, denen alle Katzen stets folgen. Bordsteinpriester, Lampenleute, Gemäuermänner traten allesamt ehrfürchtig einen Schritt zurück, als die vierfüßigen Legenden an ihren Reihen vorüberglitten und gebieterisch mit den Schwänzen schlugen.
Namen wurden geflüstert und liefen raschelnd durch die bunt zusammengewürfelte Armee wie ein Windstoß durch Binsen, Namen aus nie ganz vergessenen Geschichten:
Cranbourn, der Herold.
Wandle, die Traumführerin.
Tyburn , wisperten sie voller Angst, der Scharfrichter . Ein schwarzer Kater bleckte die Zähne, als er vorüberzog.
Flink …
Flink!
Dann und wann blieb eine der Katzen stehen, um sich zu strecken und sich an der Innenseite von jemandes Bein zu reiben, und wem dieses Glück widerfuhr, geriet augenblicklich in einen schwindelerregenden Zustand religiöser Verzückung.
Fil bahnte sich hektisch einen Weg durch die wogende Menge bis zu der Lichtung, auf der die Katzen ihre Runden drehten. Beth hetzte dicht hinter ihm her und zog sich im Laufen ihren Kapuzenpulli über den Kopf, nur um gleich darauf festzustellen, dass sie ihn verkehrt herum übergestreift hatte. Sie riss sich gerade noch rechtzeitig die Kapuze aus dem Gesicht, um zu sehen, wie Fil auf die Knie fiel.
Die räudige Tigerkatze an der Spitze der Gruppe sprang in seine hageren Arme.
»Flink«, flüsterte er, » Flink – heiliger Thems, wir haben so sehr auf euch gewartet.« Die Getigerte antwortete mit einem Schnurren, laut wie ein Motorrad.
Die übrigen Katzen, eine schwarze, eine schwarz-weiße sowie eine graue Perserkatze, der an einem Ohr ein Stück fehlte, rollten durchs Gras und jagten die schillernden Lichtflecken, die von den gläsernen Häuten der Weißhells tropften. Dann ließ die Perserin sich nieder, spreizte akrobatisch eins ihrer Hinterbeine und leckte sich mit langen Zügen ihrer hellrosa Zunge sauber.
»Ähm, Fil«, sagte Beth und beäugte die berüchtigten Katzenkrieger mit wachsendem Unbehagen, »sind das nicht einfach stinknormale … na ja … Katzen?«
Er antwortete nicht, doch der Bewohner der Bronzestatue eines Jagdfliegers aus dem Zweiten Weltkrieg entrüstete sich: »Blasphemie!«
Beth ignorierte ihn; sie folgte Fils Blick. Der Straßenprinz spähte an Flink vorbei, an den erwartungsvollen Soldaten, mühte sich, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Beth wusste, wonach er Ausschau hielt: nach dem Schimmer eines riesigen Autobahnrings, nach lächelnd entblößten Kirchturmzähnen, nach Händen, die den sagenumwobenen Großen Brand geschürt hatten. Er suchte nach irgendeinem Anzeichen jener Einen, die von diesen kätzischen Leibwächtern hätte beschützt werden sollen.
Doch als Beth dort gemeinsam mit Fil ins Dunkel des Battersea Park starrte, erwiderte nichts als Dunkel ihren Blick.
Kapitel 34
Paul Bradley stand auf dem stillgelegten Gleis und musterte die Wände des verlassenen Bahntunnels. Sein Mund war trockener als der Ziegelstaub in der Luft. Er war von Bild zu Bild gehetzt, von Straße zu Straße, hatte Brandmauern, Telefonzellen, Plakatflächen abgeklappert – alles, was Beth möglicherweise spontan als Leinwand benutzt hatte. Nachdem er inzwischen mit ihrem Stil recht vertraut war, konnte er sofort erkennen, ob irgendeins der zahllosen Graffiti von ihr stammte.
Mal war er einem rennenden Vogel Strauß, mal einem Flamencotänzer mit schwarzem Hut gefolgt – es musste Hunderte solcher Figuren geben, stets halb verborgen, wenn sie geheimnistuerisch hinter Büschen oder wie Gefangene hinter Abflussgittern hervorlugten. Ihre schiere Zahl war ein Schock für ihn.
Er war nicht vorbereitet auf die schmerzliche Eifersucht, die ihn jäh überkam bei dem Gedanken an all die Stunden, die seine Tochter mit diesen Bildern verbracht haben musste, doch dann rief er sich höhnisch zu: Wieso? Du hast in letzter Zeit ja wohl kaum sonderlich lautstark nach ihrer Aufmerksamkeit verlangt, oder?
Erschöpft und entnervt war er in einen Zustand gehetzten Umherwanderns verfallen, hatte auf das Muster jedes
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