Der Wolkenpavillon
den Samurai-Klans geführt hätte, vielleicht sogar zu Aufständen gegen den Shōgun.
Eine Glocke läutete das Ende der Schlacht ein - für Sano keinen Augenblick zu früh. Er und seine Leute schwammen, wateten oder ritten zu dem einen Seeufer, während der Feind sich an das andere Ufer zurückzog. Der Schiedsrichter machte sich daran, die ins Wasser gestürzten Soldaten zu zählen. Dann verkündete er: »Mannschaft Nummer zehn ist Sieger!«
Sanos Männer jubelten, und die Zuschauer stimmten in den Jubel ein, während die geschlagenen Feinde zerknirscht dreinschauten. Sano trieb sein Pferd die Uferböschung hinauf und schwang sich aus dem Sattel. Beinahe wäre er im Matsch ausgerutscht, doch eine kräftige Hand packte ihn am Arm. Sano blickte zur Seite, um festzustellen, wer ihm geholfen hatte. Er sah sich einem hochgewachsenen Samurai in einem schwarzen, mit roten Stickereien verzierten Waffenrock gegenüber. Der Mann nahm seinen Helm ab, und Sano blickte in das anziehende Gesicht seines einstigen Todfeindes Yanagisawa.
»Danke«, sagte Sano.
»War mir ein Vergnügen, ehrenwerter Kammerherr«, erwiderte Yanagisawa.
Beide Männer verband eine lange und wechselvolle Geschichte. Als Sano vor zwölf Jahren in die Dienste des Shōgun getreten war, war Yanagisawa sein Vorgänger im Amt des Kammerherrn gewesen. Von Anfang an hatte er Sano als Rivalen betrachtet und versucht, ihn mit allen Mitteln zu vernichten, bis eine Mordermittlung die beiden Männer dazu gezwungen hatte, eng zusammenzuarbeiten, was schließlich zu einem Waffenstillstand geführt hatte.
In den darauffolgenden Jahren war Yanagisawa zu sehr von seiner Auseinandersetzung mit dem machthungrigen Fürsten Matsudaira in Anspruch genommen worden, als dass er seine Feindseligkeiten gegen Sano hätte weiterführen können. Fürst Matsudaira hatte schließlich triumphiert und seinen Sieg über Yanagisawa mit dessen Verbannung auf die ferne Insel Hachijo gekrönt. Doch Yanagisawa konnte fliehen und nach Edo zurückkehren, wo er im Verborgenen die Fäden gezogen hatte. Es war ihm gelungen, die mächtigsten Verbündeten Sanos und Matsudairas auf seine Seite zu ziehen und die beiden Männer gegeneinander aufzuhetzen, was schließlich Fürst Matsudairas Sturz und seinen Selbstmord zur Folge hatte. Nach dem Tod des Fürsten war Yanagisawa aus seinem Versteck hervorgekommen und hatte eine triumphale Rückkehr auf die politische Bühne gefeiert.
Doch mit Fürst Matsudairas Tod war die alte Rivalität zwischen Sano und Yanagisawa wiederaufgeflammt. Sano hatte mit wütenden Vergeltungsschlägen des wiedererstarkten Yanagisawa gerechnet und sich auf den härtesten Kampf seines Lebens gefasst gemacht. Doch dieser Kampf war ausgeblieben.
Nun lächelte Yanagisawa mit derselben Freundlichkeit, mit der er Sano schon seit seiner Rückkehr aus der Verbannung behandelte. Er strich sich das Haar zurück, das dicht, glänzend und schwarz war, während Sanos Haar bereits ergraute, obwohl beide Männer im gleichen Alter waren.
»Ihr habt Euch gut geschlagen«, sagte Yanagisawa.
Sano horchte, ob es einen feindseligen Unterton gab, doch er konnte nichts heraushören. »Ihr auch«, erwiderte Sano.
Yanagisawa lachte. »Wir haben die armen Schweine niedergemetzelt.«
Seit nunmehr einem Jahr herrschte Frieden zwischen den beiden Männern - ein Frieden, den Sano nie für möglich gehalten hätte. Natürlich war er froh, von Mordversuchen durch Yanagisawas Handlanger verschont zu sein, aber der beinahe vertraute Umgang mit seinem einstigen Todfeind kam ihm seltsam, ja unwirklich vor - so, als würde die Sonne um Mitternacht scheinen.
Sano und Yanagisawa nahmen ihren Platz an der Spitze ihrer jubelnden Männer ein. Der Schiedsrichter trat vor sie hin und verkündete: »Beide Mannschaften erhalten den Preis für den besten Reiterkampf, ein Fass vom besten Sake. Meinen Glückwunsch.«
»Ist es nicht großartig, dass wir jetzt auf einer Seite stehen?«, fragte Yanagisawa, nachdem der Jubel der Soldaten verklungen war.
»Ja, so ist es«, erwiderte Sano mit gespielter Begeisterung. Wie alle anderen wusste auch er, dass Yanagisawa irgendetwas im Schilde führte. Sano hatte seine Amtskollegen in der Regierung bereits darüber reden hören, dass Yanagisawa etwas vorhatte. Einige hatten sogar Wetten darauf abgeschlossen, wann er zum Schlag gegen Sano ausholen würde.
Sanos Gedanken wurden unterbrochen, als der Shōgun sich näherte. Er war ein dünner, zerbrechlich wirkender Mann von
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