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Der Wüstendoktor

Der Wüstendoktor

Titel: Der Wüstendoktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ins Fleisch gebohrte spitze Höhlen.
    Sie brauchte ein paar lange tiefe Atemzüge, bis sie begriff, daß die Gefahr nicht vorüber war. Bruno Hellersen wälzte sich auf die Seite, kam auf die Knie und kroch auf sie zu. Ein Riesentier, ein glatzköpfiges Fabelwesen, der letzte Saurier.
    Mit letzter Kraft trat sie erneut nach ihm, traf ihn an der Stirn und warf ihn wieder um. Der schwammige Körper in dem offenen Bademantel klatschte auf den Marmorboden. Die Beine zuckten wie bei einem geköpften Huhn.
    Katja zog sich an der Wand hoch und taumelte in den Salon. Dort stand ihre Tasche mit der Pistole. Sie riß sie heraus, schwankte zurück in die Halle und stellte sich vor ihren Mann. Er sah sie an, aus blutunterlaufenen Augen, mit einem starren unmenschlichen Blick. Er rührte sich nicht, nur seine Brust begann zu beben, und der Kopf hob und senkte sich wie ein Hammer, der den Marmor zertrümmern will.
    Mit beiden Händen umfaßte Katja den Griff der Pistole. Sie zielte auf die Brust, dann auf den Kopf, genau zwischen die Augen. Und dann sah sie, daß er weinte … Sie wollte es nicht glauben, blickte über den Lauf der Waffe auf ihn und sah die Tränen dick und glänzend aus seinen Augenwinkeln rollen, über die Backen in die Halsbeugen.
    Da warf sie die Pistole weg und rannte hinaus. Sie riß das Garagentor auf, sprang in ihren kleinen, offenen Sportwagen und raste davon.
    Ziellos fuhr sie durch die Gegend. Drei Stunden lang – durch Grünwald, zur Isar, die Talstraße entlang, sie irrte durch Wälder und Dörfer, kehrte nach Grünwald zurück und wunderte sich, daß sie noch lebte, daß der Wagen fuhr, obwohl sie nicht lenkte, kein Gas gab, nichts sah, keine Straßen, Bäume, Flüsse, Häuser, Menschen, sondern nur diese großen, starren, weinenden Augen – das Schluchzen eines Urtiers –
    Dr. Vandura schrak auf, als hinter ihm die Tür klappte. Er saß in seinem Labor und schrieb einen Bericht über sein neuestes Experiment. Der erste große Erfolg: Ablösung einer Kalkwand in der Aorta durch seine Gasinjektion.
    Es kam auf die Art der Injektion an, auf die flache Einführung der Nadel, auf das millimeterweise Abtrennen des Kalks von der Adernwand.
    In der Tür stand Katja. Ihr Kleid war zerfetzt, über die Schenkel zogen sich breite blutige Kratzwunden.
    »Du mußt ihn töten!« schrie sie, als Vandura aufsprang. »Jetzt … hörst du … jetzt gleich … Du mußt ihn töten!«
    Dann sank sie ohnmächtig zusammen, ehe Vandura sie erreichte.

3
    Die Wunder unserer Zeit sind die Zufälle.
    Ein Zufall war es auch, daß kurz nach der panikhaften Flucht Katjas Dr. Zemmitz, von einem Patientenbesuch kommend, am Haus Hellersens vorbeifuhr, zögerte, bremste und seinen Wagen am Bordstein parkte.
    Zemmitz hatte einen neuen Witz erfahren, ein tolles Ding aus der siebten Sohle, und er wußte, wie laut schallend Hellersen lachen konnte und solche knalligen Pointen liebte. Dieses Lachen war grandios, mitreißend, aus voller Brust, und welcher Witzeerzähler ist nicht glücklich, einen solch dankbaren Zuhörer zu haben. Meistens erzählte dann auch Hellersen einen dieser ›Reisendenwitze‹, die durchaus mit den Medizinerwitzen konkurrieren konnten, und für eine halbe Stunde brutzelte man in männlichem Wohlbehagen. Zemmitz blickte kurz auf seine goldene Armbanduhr. Zehn Minuten hatte er Zeit. Der abendliche Rundgang war nicht an Pünktlichkeit gebunden, aber er war wichtig. Die Patienten seiner Klinik empfanden es als ungemein vorsorglich, daß der Chef noch einmal vor der Nacht zu ihnen ans Bett trat, sie väterlich anlächelte und sagte: »Na, sehen Sie, gnädige Frau, uns geht's ja wesentlich besser. Richtig Farbe haben Sie im Gesicht.« Ein Blick auf die Fieberkurve. »Kaum noch Temperatur. Puls normal, Stuhlgang zweimal – was wollen wir mehr?! Unser Maschinchen läuft wieder!« Kurzes Lachen, ein Händedruck, ein tiefer Blick aus Chefarztaugen – die Kranken legten sich glücklich zurück und schliefen kurze Zeit später auch ohne Einschlafmittel. Dr. Zemmitz berechnete für diesen abendlichen Monolog am Krankenbett den Preis einer Visite – aber wen kümmerte das? Wer in der ›Wald-Klinik‹ lag, zählte nicht die Markstücke. Die Liquidationen Dr. Zemmitz' wurden von den Konten abgebucht, ohne daß man sie las. Höchstens die Privatkassen überprüften sie, denn sie mußten sie ja ersetzen, aber wer fragt schon an, wann eine ›Untersuchung‹ stattgefunden hat, wenn sie als Adgo Nr. soundso auf der Rechnung

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