Der Wüstendoktor
war Ihre Kontaktperson?«
Bruno Hellersen sah an die Decke. Schweiß perlte über seine Glatze und lief an den Ohren hinunter in das Kissen.
»Meine Frau –«, sagte er gedehnt. »Ich habe in den letzten Monaten nur meine Frau geliebt –«
Die Quittung für die vergangene Nacht. Eine sadistische Freude überflutete Hellersen. Jetzt wird man sie abholen, zum Gesundheitsamt, auf den Untersuchungsstuhl zwingen, verhören und ausfragen – sie, die feine Dame, die empfindsame Mimose.
Er rieb die Hände auf dem Bettlaken und fühlte sich zutiefst zufrieden. Dr. Zemmitz machte sich Notizen in sein Besuchsbuch.
»Lues. Ansteckungsherd Frau Katja Hellersen«, schrieb er mit großen Buchstaben hinein.
Von diesem Gespräch erwähnte Dr. Zemmitz nichts, als er sich von Katja verabschiedete. Aber zum erstenmal küßte er ihr nicht, wie üblich, die Hand. Eine unsichtbare Wand baute sich zwischen ihnen auf.
In seiner Klinik angekommen, setzte sich Dr. Zemmitz sofort ans Telefon. Voll Triumph wählte er die Nummer Vanduras. Wird das ein Schock sein, jubilierte er. Es wird ihm die Sprache verschlagen. Zum erstenmal keine Frau, die er mit Seelenmassage heilen kann. Wo Händchenstreicheln gar nichts hilft. Es ist auch wirklich nicht zu glauben – eine Frau wie Katja!
»Hier Zemmitz!« rief er frohgestimmt, als sich Vandura meldet. In keinem Beruf ist die Gehässigkeit ausgeprägter als bei den Ärzten. Ein angeschlagener Kollege – das ist mehr wert als eine Flasche Trockenbeerenauslese. »Sie haben doch Frau Katja Hellersen in Behandlung? Oder irre ich mich?«
»Nein, Kollege.« Vandura ahnte Komplikationen. Er schaltete das Tonband ein und nahm somit Zemmitz' Gespräch auf. »Frau Katja ist meine Patientin.«
»Dann machen Sie bei ihr mal einen ›Wassermann‹«, jubilierte Zemmitz. »Sie werden sich wundern, wie positiv er ist –«
Vandura lächelte still. Seine Worte! Er sah jetzt Zemmitz vor sich, wie er hinter seinem breiten Schreibtisch saß, die goldgefaßte Brille an einem Bügel im Kreise schleuderte und sich diebisch freute.
»Ich werde Frau Katja morgen untersuchen. Steht schon auf meinem Plan.«
»Sie ist der Herd!« rief Zemmitz laut. »Ihr Ehemann hat sie angegeben. Er kann nachweisen, in den letzten Wochen nur mit seiner Frau …«
Vandura hörte sich das nicht weiter an und legte auf. Zemmitz sprach weiter, es dauerte eine Weile, bis er merkte, daß die Leitung tot war. Er schüttelte den Hörer, brüllte »Flegel!« in die Muschel und warf ihn auf die Gabel.
Es hat ihn getroffen, sagte er zu sich. Er hat einfach aufgelegt. Auch seine Nerven sind nicht mehr die stärksten –
Zwei Wochen war es ruhig in der Villa hinter den blühenden Hecken. Ein trügerischer Frieden, ein Sammeln der Kräfte.
Hellersen lag im Bett und erholte sich schnell und gut. Er empfing Besucher, und das war eine große Zahl. Der Kegelclub rückte geschlossen heran und schenkte ihm eine seidene Clubfahne – eine Tischstandarte mit silbernem Fuß. Der Gesangverein brachte ein Ständchen im Garten, unter dem Schlafzimmerfenster. Da es neunundsechzig Mann waren, bewirtete Katja sie draußen mit Bier und Schnittchen, während eine Abordnung von vier Sangesbrüdern feierlich die Genesungswünsche am Krankenbett vortrug. Dann sang der Verein noch ›Jägers Morgenlied‹ und ›Der frohe Wandersmann‹ und rückte mit einem langen Omnibus wieder ab. Man war sich gewiß, daß Hellersen am Jahresende wieder eine große Spende für die Vereinskasse überwies. Hier ließ Bruno sich nicht lumpen.
Auch das Waisenhaus erschien, an der Spitze von zwei weißgekleideten Mädchen und zwei Buben in schwarzen Anzügen Herr Pfarrer Zinglich und die Oberschwester. Die Mädchen brachten Blümchen, die Buben sagten ein Gedicht auf, und Pfarrer Zinglich sprach ein Gebet. Oberschwester Patientia berichtete von einem Erweiterungsbau mit einer Turnhalle, eine Planung noch, das Geld, ja das liebe Geld – und zum Abschied sangen die Kinderchen noch einen Psalm.
Bruno Hellersen genoß dieses Kranksein und diese Besorgtheit um seine Person. Er hatte eine Liste angefertigt mit den Vereinen, die er unterstützte und die nun an sein Bett traten. Und siehe da – alle, alle kamen, und Hellersen strich sie auf seiner Liste ab. Am Ende fehlte nur noch ein Name.
»Die Vereinigung ehemaliger Schüler ist nicht gekommen«, sagte Hellersen nach zehn Tagen. »Ausgerechnet die! Dabei habe ich die gestickten Schülermützen gestiftet! Die werden mich
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