Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wüstendoktor

Der Wüstendoktor

Titel: Der Wüstendoktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
sagte er betont. »Wenn er die Treppe hinuntergestürzt ist, was ich vermute – sehen Sie nur das Hämatom an der rechten Stirnseite und an der linken Schulter –, könnte sich solch ein Teufelsding gelöst haben.«
    Katja stand vor dem Plastikzelt und starrte auf ihren Mann. Sie sah ihn an wie einen Fremden, jegliches Gefühl war in ihr erloschen. Er kam ihr unbekannt vor. Undenkbar, daß sie einmal mit ihm gelebt hatte, daß es sogar so etwas wie Liebe gegeben hatte, am Anfang ihrer Ehe, in die sie wie ein Schaf zur Schlachtbank getrottet war. Unfaßbar, daß dieses fremde Wesen dort am Dauertropf und Sauerstoff sie besessen hatte, von ihr Besitz ergriffen hatte, die Geheimnisse ihres Lebens kannte. Wer war das da? Bruno Hellersen? Unmöglich. Eine teigige Masse, weiter nichts.
    Das Telefon im Zimmer summte diskret. Dr. Bernhard nahm den Hörer ab und reichte ihn dann an Zemmitz weiter.
    »Bei Frau Deutler eine starke Nachblutung. Schwester Ottilie fragt, was sie …«
    »Ich komme!« rief Zemmitz ins Telefon. Er gab den Hörer an Bernhard zurück und winkte. »Ich habe immer gesagt, da ist noch ein Plazentarest zurückgeblieben! Jetzt haben wir die Sauerei! Rufen Sie Dr. Biller und lassen Sie den OP klar machen –«
    Dr. Biller war der gynäkologische Assistent. Die ›Wald-Klinik‹ war auf alle Fälle vorbereitet und eingerichtet.
    »Sie entschuldigen!« sagte Zemmitz knapp. »Und bitte nicht länger als zehn Minuten bleiben. Sie sehen ja, er ist nicht ansprechbar …« Er verließ im leichten Laufschritt das Zimmer, gefolgt von Dr. Bernhard. Bevor die Tür mit einem schnalzenden Laut zufiel, hörte Vandura noch, wie er anordnete: »Schwester Berti soll auf 10 kommen! Hellersen darf nicht ohne Aufsicht bleiben –«
    Dann waren sie allein im Zimmer, allein mit dem Mann, der gegen den Tod rang. Mit zwei schnellen Schritten war Katja am Sauerstoffzelt und schob den Eingangsschlitz zur Seite. Ihre tiefblauen Augen funkelten. Vandura rührte sich nicht vom Fleck, nur seine Mundwinkel zuckten stark.
    »Jetzt –«, sagte sie halblaut. »Tu es jetzt! Die Schwester kann jeden Augenblick kommen. Mein Gott – so eine Gelegenheit – tu es jetzt – bitte – bitte – bitte – es ist die Chance –«, flüsterte sie.
    Ihre Blicke schrien ihn an. Die ganze Qual ihres jahrelangen Martyriums brach wieder auf.
    Dr. Vandura preßte die Lippen aufeinander. Er griff in die Tasche, holte ein verchromtes Etui hervor, klappte es auf, entnahm ihm eine fertige Spritze, drückte die Luft aus der Nadel und trat neben Katja an Hellersens Bett. Flach stach er in die Vene des rechten Armes, nachdem er sie kurz mit einem Daumendruck gestaut hatte, zog das Kontrollblut ein und drückte dann langsam die gelbliche Flüssigkeit in die Ader. Mit einem Tupfer, der bei der Spritze gelegen hatte, wischte er die wenigen Blutstropfen ab. Ein kräftiger Druck auf den Einstich – er blutete nicht mehr.
    Nur Sekunden dauerte der Vorsprung Vanduras. Er hatte kaum die Spritze wieder in das Kästchen gelegt und in die Tasche gesteckt, als die Tür aufging und Schwester Berti hereinkam.
    »Wir gehen sofort –«, sagte Katja und lächelte verkrampft. Es hinterließ den Eindruck einer um Fassung ringenden Frau, und dieser Zustand war nicht einmal gespielt. »Gute Nacht, Schwester –«
    Im langen Gang waren sie allein. Die Patienten schliefen bereits. Die Nachtbeleuchtung brannte, eine bedrückende Dämmerung für einen Gesunden. Ihre Schritte hallten überlaut auf dem Kunststoffboden – unbewußt ging Katja auf den Zehenspitzen und hatte das Gefühl, lauter als ihre Schritte hämmerte ihr Herz. Am Lift blieben sie stehen. Vandura drückte den Rufknopf, Surren klang aus dem Schacht. Die Kabine schwebte herunter.
    »Ich danke dir«, sagte Katja leise und küßte Vandura auf die Wange. »Ich danke dir ewig –«
    Ihre Erregung war ungeheuerlich. Als der Lift hielt, klang das Einrasten des Haltekontaktes wie ein Kanonenschuß.
    Am nächsten Morgen lebte Bruno Hellersen immer noch. Es ging ihm sogar besser. Um elf Uhr morgens öffnete er die Augen und kam auf diese Welt zurück. Dr. Zemmitz, der gerade ein chronisches substantielles Emphysem untersuchte, wurde vom Röntgenschirm weggerufen und stand fassungslos vor diesem Wunder. Hellersen verzog sogar den Mund zu einem angedeuteten Lächeln, als Zemmitz ausrief: »Bei so viel Glück sollten Sie nächstens eine Kirche stiften!«
    Das Wiedererwachen Hellersens täuschte allerdings nicht darüber hinweg,

Weitere Kostenlose Bücher