Der Wüstendoktor
etwas fällt auf, das geht über die ärztliche Sorgfalt hinaus.
Ein häßlicher Verdacht glomm in Zemmitz auf. Seine Abneigung gegen Vandura trieb giftige Blüten. Sie war ein Nährboden für verworrene und entsetzliche Gedanken. Wo war Vandura gewesen, als Hellersen die Treppe hinunterstürzte? Warum war die Haustür unverschlossen? Waren Vandura und Hellersen in dem leeren Haus allein aufeinandergetroffen? Noch konnte Hellersen kaum sprechen, jedes Wort war wie das Wegwälzen eines schweren Steins. Aber Zemmitz nahm sich vor, mit ihm zu reden. Nur Fragen stellen, der andere brauchte nur zu nicken. Das genügte.
Über dem Bett hing noch immer das Sauerstoffzelt, als Katja Zimmer 10 betrat. Die ständig am Bett sitzende Schwester erhob sich sofort und trat zurück. Bruno Hellersen starrte Katja wie einen Geist an, dann die Blumen, er bewegte die Lippen, drehte den Kopf zur Seite und blickte weg.
»Können Sie eine Vase holen, Schwester, und die Blumen ins Wasser stellen?« fragte Katja und hielt die Blumen von sich. »Sie sind empfindlich und brauchen viel frisches Wasser.«
»Sofort, gnädige Frau.« Die Schwester nahm den Strauß in beide Hände. »Ich will sehen, ob wir auf der Station eine passende Vase haben.«
Sie verließ das Zimmer. Katja wartete noch ein paar Sekunden, dann trat sie an das Plastikzelt und schlug es auf. Der Kopf Brunos fuhr herum. Angst schrie aus seinen glasigen Augen.
»Ich tue dir nichts«, sagte sie ganz ruhig. »Du wirst sowieso sterben. Aber bevor du dich wegmachst, sollst du wissen, daß ich nichts auf der Welt so hasse wie dich!«
Hellersen schnappte nach Luft. Er wollte schreien, aber es wurde nur klägliches Gezirpe. Katja ließ den Zelteingang wieder zurückfallen und setzte sich außerhalb der Plastikhaut auf den Besucherstuhl. So fand sie die Schwester vor, als sie mit einer großen Porzellanvase und den Blumen zurückkam.
Das Gesicht Brunos war in wenigen Minuten aufgedunsen. Rote Flecke bedeckten Wangen und Hals. Sein Atem rasselte. Unbemerkt von Katja drückte die Schwester auf einen Klingelknopf an der Wand. Nur zwei Minuten brauchte Dr. Zemmitz von seinem Mittagstisch bis Zimmer 10.
»Die Freude regt ihn zu sehr auf«, sagte er voll Sarkasmus. »Ich glaube, es ist besser, wenn Sie gehen, Katja. Wir müssen jegliche Überanstrengung vermeiden. Wenn ich Ihnen einen freundschaftlichen Rat geben kann: Warten Sie noch eine Woche mit weiterem Besuch. Ich werde es Bruno erklären, er wird es verstehen. Sie helfen damit Ihrem Mann …«
Es war eine so geschickte Formulierung, daß Katja nur zustimmend nicken konnte. Um sie völlig über die Situation aufzuklären und keinerlei Fragen mehr aufkommen zu lassen, fügte Zemmitz hinzu: »Außerdem verreise ich. Ein Internistenkongreß in Wien. Genau eine Woche. Ich möchte während meiner Abwesenheit alle Komplikationen vermeiden. Darf ich mit Ihrem Verständnis rechnen?«
»Das ist doch klar, Doktor.« Katja ging neben ihm her zum Lift, gab Zemmitz die Hand und fuhr hinunter zur Eingangshalle. Eine Woche! Sieben Tage lang ist Bruno allein auf Zimmer 10. Welch eine Gelegenheit für Vandura! Der Besuch der Ehefrau wurde verboten, aber nicht der des Arztes. In sieben Tagen ist die Welt schon oft geändert worden – warum nicht auch die kleine Welt der Katja Hellersen?
»Es ist soweit«, sagte sie, als sie wieder bei Vandura war und die Handtasche auf das Sofa warf. In ihrer Stimme schwang etwas wie der Ton einer Fanfare. »Zemmitz verreist für eine Woche!«
Und Vandura nickte schweigend.
Dreimal besuchte Dr. Vandura in der kommenden Woche den kranken Hellersen. Stationsarzt Dr. Bernhard, der zwar den Befehl bekommen hatte, auf keinen Fall die Ehefrau vorzulassen, hatte bei einem Kollegen keine Bedenken, zumal der Chef Vandura mit keinem Wort erwähnt hatte.
Jedesmal gelang es Vandura auch, die Schwesternwache aus dem Zimmer zu schicken und Hellersen die Injektion zu geben.
Es war ein stummer, hilfloser Kampf, den Hellersen gegen Vandura führte. Seine Hilferufe blieben in seinem Gaumen hängen und wurden zu einem Röcheln, seinen Arm wegzuziehen, gelang ihm nicht – dazu war er zu schwach. Wenn Vandura wieder gegangen war, schlief Hellersen sofort ein – ermattet von seinem nutzlosen Widerstand, weggetragen von der Medizin, die seine Adern durchpulste und eine bleierne Müdigkeit hinterließ. Dr. Bernhard unternahm alles, um das Absinken der Lebenskraft wieder aufzufangen – er wunderte sich nicht. Das Auf und Ab war
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