Der Wüstendoktor
von seinen anderen Mitarbeitern. Er war der Chef – danach kam lange Zeit nichts mehr. Da es ihm nie vergönnt gewesen war, die akademische Laufbahn einzuschlagen und einmal Professor und Ordinarius zu werden, Chef einer Universitätsklinik oder eines ganzen Klinikums, überpflanzte er diese Machtstellung in seine kleine Welt.
»Ihr Gatte«, sagte Dr. Zemmitz und betonte jedes Wort, denn ihn ließ das Gefühl nicht los, daß Katja den Tod ihres Mannes ungeduldig erwartete, »hat eine Nilpferdnatur! Er lebt! Er ist bei Bewußtsein und hat leichte Nahrung zu sich genommen. Sie dürfen ihn für zehn Minuten besuchen. Aber nicht sprechen – nur von weitem sehen. Er wird sich sicherlich freuen.«
Das war infam. Zemmitz legte zufrieden auf. Frauen sind im Grunde dumm, dachte er, während er hinunter zum Kasino fuhr, das im ausgebauten Keller lag. Schopenhauer und Nietzsche verachteten die Frauen vom Philosophischen her – sie waren keine Mediziner. Was man aber als Arzt alles mit Frauen erlebt – Himmel noch mal, allein ihr Körper und ihre biologische Notwendigkeit verhindern, daß man sie als unwichtigstes Geschöpf klassifiziert. Zemmitz hatte sich nie viel aus Frauen gemacht – er ›benötigte‹ sie, das war alles.
Katja legte den Hörer langsam auf und wandte sich zu Vandura. Im weißen Arztmantel saß er in der Bibliothek seines riesigen Wohnraumes und trank zwischen zwei Untersuchungen einen Cognac. Im Wartezimmer saßen noch sieben Patienten, drei wurden von der Sprechstundenhilfe im Bestrahlungsraum behandelt – es war Freitag. Letzte Sprechstunde vorm Wochenende. Man holte sich vom Arzt Kraft für Samstag und Sonntag.
»Er lebt –«, sagte sie gedehnt. »Es geht ihm besser – was – was hast du ihm denn gegeben?«
Vandura starrte in seinen Cognacschwenker und drehte nervös die goldgelbe Flüssigkeit über die Glaswand. Ich habe ihm ein neues Mittel injiziert, dachte er und wich Katjas Blicken aus. Noch unerprobt an Menschen, nur im Tierversuch erfolgreich. Eine Säureanreicherung des Blutes, eine Kalk auflösende Substanz. Aber das kann nicht der Grund der plötzlichen Besserung sein. Die Therapie ist auf langen Zeitraum angesetzt, soll eine langsame Abschmelzung der Ablagerungen bewirken, ohne die Adern zu verätzen, soll überhaupt nur lindern, den Kalk aufweichen, damit er nachher um so leichter durch den Gasdruck abgesprengt werden kann.
»Es würde auffallen, wenn dein Mann nach unserem Weggehen plötzlich stirbt«, sagte er mit schwerer Zunge. Wie kann ein Arzt überhaupt so etwas sagen, durchfuhr es ihn. Mein Gott, was hat diese Frau aus mir gemacht! »Es muß alles natürlich aussehen, selbstverständlich, logisch.«
»Gestern war es logisch. Bruno lag im Koma!« Ihre Stimme klang hart. Sie war wie in Kälte gewickelt.
»Es wäre trotzdem auffällig gewesen. Du mußt Geduld haben, Katja – du mußt hoffen können.«
»Und wie soll es weitergehen, Ralf?«
»Ich werde Hellersen in Abständen von einigen Tagen mehrmals besuchen. Es wird sich ergeben, daß ich dann mit ihm allein bin.« Er atmete tief auf und stürzte den Cognac in einem Zug hinunter. »Sein Verfall wird auch für Zemmitz selbstverständlich sein.«
Er sprang auf, stellte das Glas klirrend auf den Tisch und lief hinaus in die Praxis. Katja sah ihm mit weiten Augen nach. Für sie war das kein Mord mehr – es war Befreiung.
Eine halbe Stunde später fuhr sie in die ›Wald-Klinik‹. Sie nahm einen großen Blumenstrauß mit, weil das so üblich ist bei Krankenbesuchen. Dr. Zemmitz, von der Pfortenschwester alarmiert, empfing sie auf dem Stationsflur. Welch ein Auftritt, dachte er. Ganz Diva. Und die Theaterdekoration trägt sie gleich mit sich herum. Blumen für Hellersen! Er war gespannt, wie er darauf reagierte.
»Wie geht es ihm?«
Die ewige Frage aller Besucher. Gedämpfte Stimme, Tremolo, Kuhaugen. Dr. Zemmitz rückte an seiner goldenen Brille. »Den Verhältnissen entsprechend zufriedenstellend. Aber wir sollten uns keine Illusionen machen.«
»Die habe ich nie gehabt!«
Peng! Zemmitz nickte mehrmals. Er hatte also recht. Hellersen lebte zu lange. Daß er jetzt bei Besinnung im Bett lag, war ein schwerer Schlag für sie. Er sah sie von der Seite an, diese dunkelhaarige Schönheit mit dem kindlichen Gesicht, hinter dem sich die Glut einer leidenschaftlichen Frau verbarg. Hatte sie einen Geliebten? Welche Rolle spielte Vandura in ihrem Leben? Überhaupt Vandura – er war merkwürdig oft mit ihr zusammen! So
Weitere Kostenlose Bücher