Der Wüstenpalast
…”
Gehorsam schluckte sie den Kräutertrank, sank danach zurück und hob sekundenlang die schweren Augenlider. Zwei junge Frauen knieten in einiger Entfernung auf dem Teppich, die Blicke besorgt und fasziniert zugleich auf Bethany geheftet.
“Der Doktor kommt gleich.” Behutsam strich Razul die feurigen Locken von ihrer feuchten Stirn. Seine Hand bebte leicht. “Schließ die Augen; entspann dich”, wies er sie mit seiner tiefen, dunklen Stimme an. “Wenn du dich anstrengst, wird der Schmerz sicher nur noch schlimmer.”
Mich entspannen? Wie denn, dachte sie. Er hat mich in seinen Harem gebracht. Und das da müssen seine Frauen sein. Ehefrauen, Konkubinen … Ach, ist das nicht egal? fragte sie sich bitter. Razul ist und bleibt der Mann, der zweihundert junge, schöne Frauen zur Verfügung hat … Geschenke der Untertanen seines Vaters.
Datar hatte offizielle Beschwerde bei der britischen Regierung eingelegt, als ein gewisses Boulevardblatt der sensationsgierigen britischen Öffentlichkeit pikante Einzelheiten über das Privatleben des Kronprinzen zugänglich gemacht hatte. Sechs Monate lang waren alle diplomatischen Beziehungen abgebrochen worden, und Aufträge, die ursprünglich mit britischen Firmen hatten zustande kommen sollen, waren an andere Länder gegangen. Seitdem hatten sich die Medien in Bezug auf das exotische Sexleben des Kronprinzen von Datar taktvoll zurückgehalten. Kein einziges Wort mehr war seit jenen Enthüllungen vor zwei Jahren gedruckt worden.
Als Bethany es damals gewagt hatte, ihn mit diesen Tatsachen zu konfrontieren, war Razul vollkommen außer sich gewesen. So zornig und erbost war er über die Dreistigkeit einer Frau, ein derartig unaussprechliches Thema überhaupt zu erwähnen, dass ihn all sein Englisch im Stich gelassen und er in seiner eigenen Sprache auf Bethany eingeschimpft hatte, ehe er hinausgestürmt war und sie weinend, leer und voller Bitterkeit zurückgelassen hatte.
In einer benebelnden Mischung aus Schläfrigkeit und Erinnerungsfetzen ließ Bethany sich treiben wie ein Boot auf sturmgepeitschter See. Doch langsam kam das Boot in einem Hafen zur Ruhe, dorthin gezogen durch den Druck der kühlen, kräftigen Finger, die die ihren umschlossen hielten. Und allmählich glitt Bethany in einen tiefen traumlosen Schlaf hinüber.
Bethany erwachte zum Klang von Vogelgezwitscher und streckte sich träge. Sie schlug die Augen auf und sah keine Zimmerdecke, sondern eine Kuppel aus herrlichem farbigem Glas, die sich weit über ihr erhob. Nach Luft schnappend, setzte Bethany sich auf. Erschrocken stellte sie fest, dass sie nicht allein war.
Drei strahlend lächelnde junge Mädchen knieten schweigend vor ihr auf dem Teppich.
“Sie sind wach,
sitt.”
Eines der Mädchen stand anmutig auf und hob scheu den Blick aus mandelförmigen Augen zu ihr empor. Ihr schlanker Körper war mit einem engen, farbenprächtigen Mieder und einem weitschwingenden Rock bekleidet, ihre Füße steckten in reich bestickten Pantoffeln, und bei jeder Bewegung klirrte leise der Goldschmuck, den sie trug. “Ich bin Zulema. Wir wurden ausgewählt, um Ihnen zu dienen. Viele haben sich diese Ehre erhofft, aber nur ich spreche Englisch. Prinz Razul sagt, ich spreche gut Englisch … Ist es gut genug?”, fragte sie in plötzlicher Bestürzung, offenbar deshalb, weil Bethany sie sprachlos anstarrte.
Bethany atmete tief durch und versuchte, ihre Fassung zurückzugewinnen, indem sie sich in dem sagenhaften Raum umschaute und dann vorsichtig das weiße Seidennachthemd befühlte, in das sie geheimnisvollerweise gekleidet war.
“Sie sprechen hervorragendes Englisch, Zulema”, murmelte sie.
“Ich werde Ihnen ein Bad einlassen,
sitt.
Sie müssen wollen sich bestimmt frisch zu machen. Sie hatten eine lange Reise, aber es ist ja so aufregend, in einem Flugzeug zu fliegen. Einmal bin ich mit Prinzessin Fatima nach London gereist …” Zulema brach plötzlich ab und senkte den Kopf mit dem glänzenden dunklen Haar.
Fatima? Wer war Prinzessin Fatima? Razuls Schwester, Mutter, Tante oder … seine Frau? Bethany wusste nichts über seine Familie.
Das Geräusch von fließendem Wasser kam durch eine Tür, die nun weit aufgestoßen wurde. Bethany glitt vom Bett herunter.
Zulema schnappte nach Luft und eilte herbei, um ihr Pantoffeln vor die Füße zu legen, als ob der phantastische, seidenweiche Teppich keinen ausreichenden Schutz böte.
“Bitte …” Bitte, lasst mich in Ruhe, wollte Bethany sagen, aber als
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