Der Wuestenplanet - Paul Atreides
Gewicht jener, die du beherrschst, Geliebter. Du zählst ihre Toten wie deine eigenen, und dennoch darfst du niemals vergessen, dass du sie alle errettet hast. Du bist der eine, auf den wir gewartet haben, der Lisan-al-Gaib. Der Mahdi. Sie kämpfen in deinem Namen, weil sie an die Zukunft glauben, die du bringen wirst.«
Genau solche religiösen Überzeugungen sollte er nutzen, hatte sein Vater ihm immer wieder geraten. Und die Missionaria Protectiva der Bene Gesserit hatte Aberglauben und Prophezeiungen ausgesät, die er nun ebenfalls für seine Zwecke verwendete. Ein Trick, ein Werkzeug. Doch nun benutzt das Werkzeug den ursprünglichen Anwender.
»Der Djihad hat ein Eigenleben entwickelt. In meinen Visionen als junger Mann habe ich erkannt, dass sich dieser heilige Krieg nicht aufhalten lässt, aber ich habe trotzdem versucht, die Zukunft zu verändern, um die rasende Gewalt zu verhindern. Ein einzelner Mensch kann die Bewegung des Sandes nicht aufhalten.«
»Du bist der Coriolis-Wind, der den Sand in Bewegung setzt.«
»Ich kann ihn nicht aufhalten, aber ich kann ihn lenken. Ich bin dabei, ihn zu lenken. Die Menschen nehmen ihn als unverzeihliche Gewalt und Zerstörung wahr, doch ich weiß, dass er die beste von zahlreichen unerträglichen Alternativen ist.« Mit einem Seufzer wandte Paul sich von ihr ab. Er hatte sich der Illusion hingegeben, es wäre einfach, die Zügel zu halten und den Weg des riesigen Monstrums zu beeinflussen, das der Djihad war. Er hatte geglaubt, klare Entscheidungen treffen zu können, um dann festzustellen, dass er stärker als irgendein Mensch vor ihm vom Lauf der Geschichte mitgerissen wurde. Ihm war ein grausamer Weg vorherbestimmt. Er ritt auf dem Kamm einer Welle, die ihn und alle anderen in seiner Nähe zu ertränken drohte. Selbst wenn Muad'dib die bestmöglichen Entscheidungen traf, selbst wenn sein Herz etwas anderes wollte, sah er deutlich die blutige Zukunft, die sich noch über viele Jahre hinweg gnadenlos vor ihm entfaltete.
Doch die Alternative wäre viel schlimmer.
Er hatte tatsächlich darüber nachgedacht, ob er sich selbst aus der Gleichung eliminieren sollte, um den Verstrickungen des Schicksals zu entfliehen. Er hätte sich in den Abgrund der historischen Interpretationen und der Mythenbildung stürzen können.
Doch wenn er beschloss zu sterben, würde Muad'dib trotzdem zum Märtyrer werden. Seine Präsenz in den Herzen und Gedanken seiner Anhänger war einfach zu stark, und sie würden notfalls auch ohne ihn weitermachen – oder ihm zum Trotz. Die Zeit würde in jedem Fall ihren Tribut einfordern. Paul befürchtete sogar, dass er mit einem vorzeitigen Tod mehr Schaden anrichtete als im Leben.
Auf dem Nachttisch neben der zerbrochenen rosafarbenen Muschelschale von der Erde, die Bludd ihm von Ecaz mitgebracht hatte, lag ein Stapel Berichte, in denen es um Truppenbewegungen, Flugpläne der Gilde und eine lange Reihe von Planeten ging, die er ohne Schwierigkeiten erobern konnte. Ungeduldig stieß er die Dokumente beiseite.
Chani runzelte die Stirn, als sie es sah. »Freut es dich nicht, dass wir so große Fortschritte machen? Dass wir so erfolgreich sind?« Normalerweise verstand sie seine Stimmungen, aber nicht heute. »Der Djihad ist doch bestimmt bald vorbei.«
Er blickte sie an. »Hast du schon einmal von Alexander dem Großen gehört? Er lebte vor sehr langer Zeit und ist fast im Nebel der Zeit vergessen. Er war ein großer Feldherr auf Mutter Erde. Er soll der mächtigste Imperator der antiken Epochen gewesen sein. Seine Armeen eroberten Kontinente, fast das gesamte damals bekannte Universum, und als er die Meeresküste erreichte, weinte er, weil es keine Länder mehr gab, die er hätte erobern können. Aber die Geschichtsschreibung betrachtet Alexander nur deshalb als groß, weil er das Glück hatte zu sterben, bevor sein Imperium in sich zusammenbrechen konnte.«
Chani blinzelte. »Wie ist das möglich?«
»Alexander war wie ein Sturm. Er hatte viele Soldaten und überlegene Waffen, aber nach der Eroberung eines Volkes zog er weiter, so dass er sein Imperium nie verwalten musste.« Paul griff nach Chanis Hand. »Verstehst du? Unsere Armeen erringen einen Sieg nach dem anderen, aber wenn man einen Menschen schlägt, ist das etwas ganz anderes als eine jahrelange Zusammenarbeit. Irulan hat Recht. Wenn Muad'dibs Djihad vorüber ist, wenn ich diesen langen Krieg gewonnen habe, stellt sich die Frage, wie ich den Frieden überlebe. Würde man Alexander
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