Der wunderbare Massenselbstmord
dort kam ein gemeinschaftlicher Vor schlag. Es sollten eine große Summe Geldes gesammelt und Unmengen Schnaps gekauft werden. Den würde man dann pausenlos trinken, bis die ganze Saufrunde daran gestorben wäre.
Die Mehrheit fand die vorgeschlagene Methode unan ständig. Der Tod sollte würdevoll sein. Es schickte sich nicht, sein Leben volltrunken zu beenden.
Die verwegenste Idee für einen Massenselbstmord äu ßerte ein närrischer Jüngling aus Kotka. Er fände es großartig, sein Leben zu beenden, indem man aus einem Luftballon ins Meer sprang.
»Wir mieten sämtliche Heißluftballons von Finnland und segeln damit bei geeignetem Wind zum Beispiel von Kotka oder Hamina oder einem anderen Küstenort aufs Meer hinaus. Wenn wir über dem Finnischen Meerbusen sind, lassen wir die Luft raus und stürzen ins Wasser!«
Der Redner malte das prachtvolle Selbstmordszenario aus: Im sanften Abendwind steigen fünfzig Ballons vom Ufer auf. In jeder Gondel stehen ein halbes Dutzend Selbstmordkandidaten. Die Ballons gewinnen an Höhe, der Wind treibt sie dem Sonnenuntergang entgegen. Das düstere finnische Festland mit all seinen Plagen bleibt zurück. Der Ausblick ist überwältigend, die Stimmung himmlisch. Die Todessegler stimmen auf dem offenen Meer ein gemeinsames Abschiedslied an, das wie ein Engelschor ins Weltall schallt. Aus den Körben werden Feuerwerksraketen abgeschossen, jemand springt vor Begeisterung ins Meer. Endlich, wenn der Brennstoff der Ballons verbraucht ist, sinkt das ganze Geschwader feierlich gemessen in die Wogen des Meeres, und damit ist die irdische Mühsal endgültig vorbei…
Die Schilderung bekam Lob für ihren lyrischen Ge-halt, die Selbstmordmethode wurde jedoch nicht akzep tiert, weil man dabei auch die unschuldigen Kapitäne der Ballons mit in den Tod nehmen müsste. Gleichzeitig würde das an sich begrüßenswerte Hobby des Ballon fliegens in Finnland zum Erliegen kommen.
Im Festsaal und im Salon wurde wie besprochen Geld gesammelt. Als Klingelbeutel diente ein Sektkühler. Die Leute gaben reichlich Scheine hinein. Kaum jemand traute sich, Münzen einzuwerfen. Helena Puusaari und Onni Rellonen zählten die Ausbeute und staunten. Die Kollekte hatte insgesamt 124.320 Mark erbracht. In dem Silbergefäß steckten bündelweise Scheine, sogar ein paar über tausend Mark, auch Schecks – der größte war auf eine Summe von fünfzigtausend Mark ausgestellt. Der Spender war ein Rentierhalter namens Uula Lis manki von der Weidegemeinschaft Kaldoaivi aus Utsjoki. Er begründete sein großzügiges Geschenk:
»Man muss schon tüchtig Geld haben, wenn man solch einen Haufen Leute umbringen will. Heutzutage ist in Finnland nichts mehr billig, nicht mal der Tod.«
Schecks über zehntausend Mark fanden sich mehre re. Das zeigte, dass durchaus nicht alle potenziellen Selbstmörder arm, geschweige denn geizig waren.
Als das Selbstmordseminar bereits fünf Stunden an dauerte, schlug der Oberst eine Pause vor. Für das Geld aus der Kollekte wurden Kaffee und Getränke ausgege ben. Der Vorschlag wurde freudig begrüßt.
Während der Kaffeepause zog sich der Oberst mit He lena Puusaari und Onni Rellonen ins Restaurant im Obergeschoss zurück, um sich mit ihnen über die Situa tion zu beraten. Unten im Festsaal harrten noch mehr als hundert Selbstmörder aus. Sie waren jetzt ziemlich in Stimmung und machten höllischen Lärm. Anschei nend hatten sie angefangen zu saufen, als gälte es das Leben.
Helena Puusaari befürchtete, dass sie als Organisato ren die Situation nicht unter Kontrolle halten könnten. Alles Mögliche konnte passieren.
Onni Rellonen hatte gehört, wie an einigen Tischen darüber gesprochen wurde, gleich nach dieser Veran staltung an einer geeigneten Stelle in der Nähe Massen selbstmord zu begehen.
Auch den Oberst erschreckte die Wendung, die das Seminar genommen hatte. Vielleicht sollte man den Alkoholausschank begrenzen? Doch Helena Puusaari fand, dass ein vorzeitiges Lichtsignal die noch anwesen den Teilnehmer erzürnen könnte, und dann würde nichts sie mehr stoppen:
»Bestimmt würden sich ein paar Männer vor Wut auf der Stelle umbringen, so ist die Stimmung jetzt da un-ten.«
Rellonen hatte eine Idee:
»Wie wäre es, wenn wir die Rechnung bezahlen und stillschweigend abhauen? Wir sammeln die Aktenmap pen ein und verschwinden von hier, solange es noch möglich ist. Die Kollekte nehmen wir mit, uns, den Organisatoren, steht das Geld ja wohl
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