Der wunderbare Massenselbstmord
Tischtü cher. Der Oberkellner zeigte die Speisekarte, die der Bestellung entsprach. Die Mikrofone wurden auspro biert. Alles war in Ordnung.
»Ein paar Journalisten haben angerufen«, erzählte der Oberkellner.
Der Oberst knurrte, dass die Versammlung nicht öf fentlich sei. Er wies den Portier an, Journalisten und Fotografen den Einlass zu verweigern. Sollte dennoch einer versuchen, hereinzukommen, so sei er, der Oberst, unverzüglich zu rufen, damit er die Sache an Ort und Stelle klären konnte.
Die drei warteten gespannt. Ob die selbstmordgefähr deten Menschen zu diesem wichtigen Treffen kommen würden? Waren sie als Veranstalter größenwahnsinnig gewesen, einen so enormen Aufwand zu betreiben? Was mochte bei alledem herauskommen?
Der Oberst trug seine Paradeuniform, Frau Puusaari ein rotes Kleid aus Rohseide, und Onni Rellonen hatte seinen alten Nadelstreifenanzug, der vier Konkurse überdauert hatte, aus dem Schrank geholt. Sie waren ein feierliches und wichtig aussehendes Gespann, aber schließlich war auch die Sache wichtig, geradezu le benswichtig.
Die Spannung löste sich um zwölf Uhr. Der Eingangs bereich des Restaurants füllte sich mit Menschen, Frau en und Männern. Sie drängten scharenweise herein. Alle blickten ernst, sprachen flüsternd. Rellonen zählte die Ankömmlinge: fünfzig, siebzig, hundert… bald verlor er den Überblick. Die Menschenmenge strömte nach unten in den Festsaal, wo Oberst Kemppainen und Helena Puusaari alle mit Handschlag begrüßten. Der Oberkell ner dirigierte die Gäste mithilfe des Bedienungsperso nals an die Tische. Innerhalb von fünfzehn Minuten hatte sich der Saal gefüllt. Die Falttüren des großen Salons wurden aufgezogen, so gewann man zusätzlich Platz für vierzig Personen. Auch diese Tische waren schnell besetzt, und in der Tür standen noch zwanzig schweigende Menschen. Auch sie in Sachen Selbstmord unterwegs, die armen Teufel.
Unter gedämpftem Stimmengemurmel setzten sich die Leute zurecht, griffen nach der Speisekarte, die auf den Tischen auslag. Alle sahen erwartungsvoll aus. Fünf zehn Minuten nach zwölf gab der Oberst dem Portier Bescheid, dass er die Tür abschließen sollte. In die Gaststätte passte niemand mehr hinein. Die Veranstal tung konnte beginnen.
Oberst Kemppainen sprach ins Mikrofon. Er stellte sich selbst und seine beiden Mitstreiter, Direktor Rello nen und die Pädagogin Helena Puusaari, vor. Aus dem Publikum kam beifälliges Gemurmel. Der Oberst berich tete von ihrem persönlichen Hintergrund, dann erklärte er den vorgesehenen Ablauf der Veranstaltung. Das Anliegen war, vertrauensvoll miteinander über Leben und Tod zu sprechen. Auf dem Programm stand der Vortrag einer Psychologin über Suizidprävention. Nach dem Vortrag konnte ein Mittagessen eingenommen werden, das die Küche des Restaurants vorbereitet hatte. Jene, die möglicherweise nicht die Mittel hatten, den unleugbar deftigen Preis des Essens zu bezahlen, bekämen es umsonst auf seine, des Oberst, Rechnung. Irgendwann zwischendurch gebe es eine Kollekte, mit deren Einnahme alles bezahlt werden sollte. Nach dem Essen war die Diskussion vorgesehen: Jeder Versamm lungsteilnehmer, der es wünschte, konnte einen kurzen Wortbeitrag zum anstehenden Thema, dem Selbstmord, leisten. Zum Schluss würde man gemeinsam überlegen, ob man das Seminar fortsetzen und ein Komitee zur Interessenvertretung der Selbstmörder gründen oder es bei diesem Treffen belassen sollte.
»Obwohl das Thema unserer Zusammenkunft zwangs läufig sehr ernst und auf seine Weise äußerst deprimie rend ist, hoffe ich, dass es uns den sommerlichen Tag nicht verdirbt. Auch wir von der Welt verstoßenen Men schen haben wohl das Recht, wenigstens für einen Tag unser Leben und unser Zusammensein zu genießen. Ich hoffe, dass Sie sich hier wohl fühlen und dass diese Veranstaltung unserem Schicksal eine hoffnungsvolle Wendung gibt«, schloss der Oberst seine Rede. Seine schönen Worte fanden die vorbehaltlose Billigung des Publikums und wurden mit starkem Beifall bedacht.
Die Bedienungskräfte hatten während der Rede in der Tür zum Saal Aufstellung genommen. Sie trugen Ta bletts, beladen mit Sektgläsern. Rasch wurde der Be grüßungstrunk serviert. Die Leute standen auf, griffen nach ihren Gläsern. »Gesundheit und ein langes Leben«, sagte der Oberst, während er sein Glas hob. Die An spannung löste sich, die Leute begannen sich eifrig zu unterhalten, die
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