Der wunderbare Massenselbstmord
sich umzubringen, sei er zum Friedhof gegangen. Da, im letzten Moment, hatte Gott ihn jedoch gerettet. Das ersehnte Zeichen hatte auf den Eingangsstufen der Kirche von Lampi auf ihn gewartet!
Der Mann hob zum Beweis den Käfig hoch. Eben der hatte auf den Stufen gestanden und das göttliche Zei chen enthalten. In dem Käfig war ein lebender Marder hund gewesen und hatte ihn so eifrig angefaucht, dass
an der Wahrhaftigkeit des Zeichens kein Zweifel bestan den hatte. Es war wie der brennende Busch im Alten Testament.
Jemand aus dem Publikum wagte den Vermessungs techniker zu fragen, was Gott denn seiner Meinung nach damit gemeint haben sollte, dass er einen gefangenen Marderhund vor das Kirchenportal gesetzt hatte. Was sollte an dem Tier göttlich sein?
Der Vermessungstechniker schüttelte den Käfig in Richtung des Zweiflers und schrie, dass die Wege des Herrn unergründlich seien.
Als er gefragt wurde, wo die Kreatur jetzt sei, erklärte der Mann, dass er sie zum Dank für seine Rettung Gott geopfert habe. Er habe das Blut des Opfertiers in seiner Garage in Tampere verströmen lassen. Später wolle er das Tier zur Erinnerung an seine Rettung ausstopfen lassen. In seinen Grabstein, so habe er beschlossen, wolle er außer seinem eigenen Namen auch die Abbil dung eines Marderhundes eingravieren lassen. Damit eile es jedoch nicht, er glaube, noch sehr lange zu leben, und er wolle seinen Nächsten dadurch nutzen, dass er ihnen Gottes Wort verkünde.
Eine Kleinbäuerin, die eigens aus Nordkarelien nach Helsinki gekommen war, unterstrich eindrucksvoll die positive Wirkung der Veranstaltung. Sie sei immer allein mit ihren Kühen, ihr Mann sei wortkarg und unverstän dig, und die Kühe seien auch nicht besser. So etwas deprimiere. Erst hier eröffne sich ihr die Gelegenheit zum freien Gedankenaustausch in verständnisvoller Atmosphäre. Sie fühle sich wie früher als junges Mäd chen. Ihr sei schon der Gedanke gekommen, dass es vielleicht doch keinen Sinn mache, sich umzubringen.
»Man fühlt sich richtig erleichtert. Gut, dass ich gekommen bin, auch wenn die Fahrkarte einen Haufen Geld gekostet hat. Zum Glück kann ich bei meinem Neffen in Myyrmäki übernachten.«
Ein dreißigjähriger Mann stand auf, um seine Pro bleme darzulegen. Er erzählte, dass er bereits zweimal wegen Nervenzusammenbruchs und Depressionen in der Nervenklinik behandelt worden sei.
»Aber ich bin nicht verrückt, ich bin lediglich arm. Wenn ich eine eigene Bleibe hätte, wenigstens eine Einzimmerwohnung irgendwo in Kallio, würde ich gut zurechtkommen. Aber wenn man in einer Gemein schaftsunterkunft wohnen muss, raubt einem das die Nerven.«
Der Mann sagte, dass er ausgerechnet habe, wie hoch der Preis für sein Leben sei: dreihundertfünfzigtausend Mark, so viel koste eine Einzimmerwohnung in Helsinki.
»Und ich bin nicht mal ein Säufer.«
Ein anderer Mann klagte über seine gescheiterte Ehe. Seine frühere Frau erlaube ihm nicht, die Kinder zu sehen, aber den Unterhalt müsse er pünktlich zahlen.
Hin und wieder weinte eine Frau ins Mikrofon, und dann wurde es jedes Mal still im Saal. Man nahm Anteil. Zu größeren Tränenausbrüchen kam es jedoch nicht.
Viele sprachen sich für die Gründung einer gemein samen Organisation aus. Sie fanden, dass ein einsamer und gebrochener Mensch einfach nicht in der Lage war, die eigenen Interessen zu wahren. Die Perspektive ver
engte sich, der Mensch erlahmte. Selbst die ganz alltäg lichen Verrichtungen gingen einem über die Kräfte, wenn niemand half, wenn man immer so furchtbar allein war.
In einem Diskussionsbeitrag wurde die schicksalhafte Möglichkeit angesprochen, einen groß angelegten Mas senselbstmord zu begehen. Der Gedanke fand ein über raschend starkes Echo. Viele Seminarteilnehmer stan-den auf und unterstützten die Gemeinschaftsaktion. Sie
fanden, dass ein auf gemeinsamen Beschluss begange ner Selbstmord eine sichere und irgendwie väterliche Lösung wäre. Es wurden sogar konkrete Vorschläge gemacht. Eine Rentnerin aus Vantaa unterbreitete die Idee, gemeinsam ein großes Schiff zu mieten und damit weit weg, am liebsten bis zum Atlantik, zu fahren. An geeigneter Stelle im offenen Meer könnte dann das Schiff mitsamt seinen Passagieren versenkt werden. Sie selbst wäre gern bereit, an einer solchen letzten Kreuzfahrt teilzunehmen.
Im benachbarten Salon war eine Tischrunde beson ders laut, nachdem sie reichlich Getränke geordert hatte, und von
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