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Der wunderbare Massenselbstmord

Titel: Der wunderbare Massenselbstmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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geneigten Köpfen zum Rauchfang geblickt, aus dem dicker Erlenrauch quoll und sich in den Wolken auflöste. An den Geruch konnte sich Sorjonen immer noch erinnern.
    Auf der Bank zwischen Mutter und Vater hatte der Junge gesessen, mit hochgezogenen Schultern, ganz oben in dem dunklen Raum, wortlos, vom heißen Dampf umhüllt, und hatte ganz allein einen Aufguss machen dürfen. Der Vater hatte gesagt, so ist’s recht, Junge, und die Mutter, er solle es nicht gleich übertreiben.
    Der Vater hatte die großen, hängenden Brüste der Mutter angesehen, einen sinnenden Blick in den Augen, und Seppo hatte begriffen, dass er das Kind dieser erwachsenen Menschen war. Die Mutter hatte ihm den Quast gegeben und zu ihm gesagt, er solle ihr damit ein wenig auf den Rücken schlagen, aber nicht zu stark.
    »Guck nicht so, Junge.«
    Die Mutter stammte aus Uuras, der Vater war aus Österbotten zugewandert.
    Nach den ersten Aufgüssen war Seppo in den See ge­ rannt und untergetaucht, obwohl er damals noch nicht schwimmen konnte. Der Vater hatte ihm Hundepaddeln beigebracht, die Mutter hatte hinter dem Steg ihre rosa Garnituren gespült. Dann waren sie wieder hineinge­
    gangen, und jetzt hatte der Vater angefangen, heftig mit dem Quast um sich zu schlagen. Die heiße Luft war in jeden Winkel der Sauna gedrungen, aber Seppo hatte die Schwitzbank nicht verlassen, obwohl die Mutter schon fertiges Waschwasser in den Zuber gefüllt hatte.
    »Vergiss nicht, dir den Schniepel zu waschen«, hatte die Mutter gesagt, als sie ging.
    Seppo und der Vater hatten noch tüchtig geschwitzt, und erst dann waren sie zusammen wie richtige Männer über den grasbewachsenen Hof in die Stube gegangen, wo die frischen Piroggen geduftet hatten.
    Die Mutter hatte Seppo ein großes Glas Milch einge­ gossen, aber der Vater hatte ein leeres Glas vor sich stehen gehabt. Der Duft von Leinenhandtüchern hatte Vater und Sohn umgeben, der Sohn war ganz und gar in das Handtuch eingehüllt gewesen, und aus dem Hand­ tuch des Vaters hatte die Mutter eine Flasche Schnaps gezogen, dieselbe, aus der er im Schuppen getrunken hatte. Die Mutter hatte ihm ein Glas eingeschenkt und den Rest weggebracht. Sie hatte ein wenig lachen müs­ sen, und Seppo hatte verstanden.
    Seppo war später mit seinem Glas Milch und seiner Pirogge nach draußen gegangen, hatte sich auf die Stufen gesetzt, Milch getrunken und von der warmen Pirogge abgebissen. Er hatte auf den See geblickt, der genauso still gewesen war wie dieser unbekannte Wild­ markteich fern in Norwegen, Jahrzehnte später. Damals war die Sonne untergegangen, aber jetzt hing sie noch oben am Himmel.
    Sensibilisiert von dieser herzerwärmenden Sauna-Erinnerung, bekannte Seppo Sorjonen, dass er auch schon mal Gedichte geschrieben habe. Er rezitierte ein paar Verse. Auch die waren alles andere als leidvoll.
    »Trauerverderber«, hieß es in der Gruppe. Allmählich verebbte die Unterhaltung. Trotz ungewis­
    sen Schicksals senkte sich barmherziger Schlaf über die Gruppe. Der Oberst zog den Zeltvorhang zu und legte sich unmittelbar davor nieder. Die Soldaten sind wie Hunde, sie halten von ganz allein Wache, auch wenn keine Notwendigkeit besteht. Im Halbschlaf glaubte der Oberst zu bemerken, dass Helena Puusaari nach vorn rutschte und sich neben ihn legte.
    21
    Oberinspektor Ermei Rankkala von der staatlichen Sicherheitspolizei blätterte lustlos in dem Aktenordner, in dem er mit großer Mühe Informationen zu dem Fall gesammelt hatte, der in seinen Augen der merkwürdig­ ste dieses Sommers war. Der Oberinspektor hatte seinen Urlaub wegen der verzwickten Angelegenheit verschie­ ben müssen. So saß er auch jetzt an einem heißen Nachmittag in seinem schäbigen Dienstzimmer in der Ratakatu und dachte, dass eigentlich nichts an seiner Arbeit fröhlich stimmte. Ein Fall wie der andere, wider­ wärtig, düster, geheim, schwierig.
    Der Oberinspektor war fast sechzig. Er hatte genug von der undankbaren Arbeit eines Geheimpolizisten. Sie wurde nicht gewürdigt, das gehässige Volk und beson­ ders die Presse taten alles, um die wichtige und teilweise sogar unerlässliche Arbeit der Ermittler zu diskreditie­ ren. Jeder hergelaufene Schreiberling durfte unver­ schämten Mist in die Zeitung bringen, und es gehörte nicht zu den Gepflogenheiten der Behörde, all diesen Schwachsinn richtig zu stellen. Wenn eine Arbeit geheim ist, machen sich die Leute falsche Vorstellungen davon, und weil sie geheim ist, kann man die Irrtümer nicht

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