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Der wunderbare Massenselbstmord

Titel: Der wunderbare Massenselbstmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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festzustellen. Insge­ samt hatten sich dreiunddreißig Selbstmörder zusam­ mengefunden. Es war eine große Gruppe, doch Korpelas Bus war groß genug, da für insgesamt vierzig Personen bemessen. Als der Oberst die Rechnung bezahlte, dachte er ein wenig wehmütig, dass dies nun die letzte Mahlzeit mit Geschnetzeltem gewesen war. Bald brauchte nie­ mand mehr für diese Reisegruppe ein Rentier zu schlachten oder Preiselbeeren für die Beilage zu pflük­ ken.
    Als die Gruppe vom Pallas aufbrach, hatte sich der Himmel hinter dicken Wolken versteckt. Unten im Wald überraschte sie ein gewaltiges Gewitter. Als sie in das Dorf Raattama kamen, hatte der Gewittersturm seine schlimmste Stärke erreicht. Korpela musste den Bus anhalten, es goss so heftig, dass die Scheibenwischer die Sicht nicht mehr freihalten konnten. Ein völlig durch­ nässter Rentierbock kam die Dorfstraße entlanggalop­ piert, er wäre beinah gegen den Bus geprallt, da er vor sich nichts sehen konnte. Der Bock wieherte und ver­ schwand mit wehendem Schwanz im Sturm.
    Der Gewittersturm folgte den Reisenden während der ganzen letzten Wegstrecke auf finnischer Seite. Mit ungebrochener Kraft tobte er vom Pallastunturi über Enontekiö bis zur norwegischen Grenze. Die Gewitter­ front hatte denselben Weg wie die Selbstmörder. Die Stimmung war seltsam schaurig. Es war, als hätten sich die Kräfte des Todes aufgemacht, die Reisegesellschaft zu begleiten. Kurz vor der Grenzstation schlug unmittel­ bar in der Nähe der Blitz ein, sodass im Bus für einen Augenblick das Licht erlosch und das Zentralradio verstummte.
    Korpela wechselte die Sicherungen im Stromsystem seines Busses aus und fuhr zur Grenze. Die Straße war voller Pfützen, den Straßengraben bedeckte eine weiße Schicht aus Hagelkörnern.
    Uula Lismanki erklärte, dass er einen der Zöllner an der Grenze kenne, einen gewissen Topi Ollikainen. Die­ ser stand, vom Regen gepeitscht, am Schlagbaum und winkte den Touristenbus durch. Uula bat Korpela, die Vordertür des Busses zu öffnen. Er stellte sich auf die Stufen, winkte dem Zöllner fröhlich zu und rief:
    »Topi! Lies die Zeitungen und hör auf die Nachrichten im Radio, bald ist was los, das sag ich dir! Die Todes­ kandidaten grüßen dich!«
    20
    Es wurde Abend, das Gewitter blieb in Finnland. Korpe­ la fuhr an Kautokeino vorbei in Richtung Eismeer. Hier in Norwegen schien die Sonne, und sie ging nicht unter, obwohl es bald Mitternacht war. Sorjonen erklärte, dass die Sonne in Lappland deshalb nicht hinter dem Land untertauchen konnte, da die Lappländer kein eigenes Land besaßen. Im Winter verschwand die Sonne zwar hinter dem Horizont, aber zu der Zeit war das Land ja auch von Schnee und Eis bedeckt.
    Korpela fragte seine Passagiere, ob sie es mit dem Sterben so eilig hätten, dass er gleich bis ans Ziel durch­ fahren müsse. Er sei müde, schließlich sei er wieder Hunderte von Kilometern von Kuusamo bis hierher gefahren. Er schlage vor, hier in der einsamen Hochebe­ ne die letzte nachtlose Nacht zu verbringen.
    Keiner der Selbstmörder widersprach ihm. Sterben konnte man immer noch.
    Der Bus wurde an ein paar kleinen Seen geparkt. Sie befanden sich auf einer windigen Ebene hoch über dem Meeresspiegel. Wald war nur wenig vorhanden, dafür umso mehr weite Multbeerensümpfe.
    Uula machte ein Feuer, es wurde Kaffee gekocht. Das Zelt errichteten sie am Ufer eines der Seen. Im Wasser plätscherte eine Forelle, auf der stillen Oberfläche bilde­ ten sich Ringe, die sich langsam ausbreiteten.
    Im rot glühenden Schein der Mitternachtssonne ent­ spann sich unter den Selbstmördern ein Gespräch über das Vaterland, das sie hinter sich gelassen hatten. Sie vermissten Finnland nicht besonders, denn es hatte seine Kinder schlecht behandelt.
    Die Reisenden waren sich einig, dass die finnische Gesellschaft knallhart war. Es herrschten raue Sitten. Die Finnen waren grausam zueinander und von gegen­ seitigem Neid verzehrt. Habgier war allgemein verbreitet, verbissen wurde Geld gerafft. Die Finnen waren miss­ günstig und finster. Wenn sie lachten, dann weniger aus Freude als vielmehr aus Schadenfreude. Groß war die Anzahl der Betrüger, Falschspieler, Lügner. Die Reichen beuteten die Armen aus, ließen sie schwindelerregende Mieten zahlen und pressten ihnen horrende Zinsen ab. Die Armen randalierten und schlugen alles kaputt, und sie erzogen auch ihre Kinder nicht zu besseren Men­ schen, denn diese waren eine regelrechte Landplage, sie

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