Der wunderbare Massenselbstmord
Vorn öffnete sich ein schmaler Weg, der durch die weite Felslandschaft zur Spitze der Landzunge führte. Dort stand ein kleines Gebäude. Man befand sich dreihundert Meter über dem Meeresspiegel. Noch!
Die Selbstmörder saßen steif und wortlos auf ihren Sitzen. Der Schicksalsmoment war gekommen. Einige hatten die Augen geschlossen, andere bargen den Kopf in den Händen. Nur Heikkinen trank Schnaps.
Uula Lismanki und Seppo Sorjonen rannten am Bus vorbei zur Spitze. Sie beeilten sich, damit sie den letzten Flug ihrer Freunde nicht verpassten. So was sieht man nicht alle Tage, keuchte Uula im Laufen.
Noch war Zeit. Es würde eine Weile dauern, bis Lis manki und Sorjonen den Rand des Abhangs erreicht hätten. Der Oberst ging zu Korpela nach vorn und fragte ihn, ob er ihm jetzt, im Angesicht des Todes, den Grund für seinen Selbstmord verraten würde. Korpela sah dem Oberst fest in die Augen und erklärte:
»Wir Leute aus Pori haben noch nie das Bedürfnis gehabt, anderen von unseren Privatangelegenheiten zu erzählen… also belassen wir es dabei.«
Die beiden laufenden Gestalten waren inzwischen weit genug entfernt. Korpela sah sich zu seinen Mitreisenden um und sagte durchs Mikrofon, dass es jetzt an der Zeit sei. »Dann also adieu, und danke für alles. Ich hole so viel aus dieser Maschine raus, wie ich kann. Haltet euch gut an den Sitzen fest, vorn am Abhang rumpelt es garantiert. Und dann fliegen wir eine halbe Minute durch die Luft. Den Rest könnt ihr euch denken.«
Der Oberst nahm jetzt das Mikrofon und dankte allen für die gelungene Reise. Ihm kam der Gedanke, Man nerheims berühmten Tagesbefehl zu zitieren, es hätte gepasst, wenn er gesagt hätte, dass er an vielen Fronten gekämpft, aber noch nie solche Lebenskämpfer wie diese Selbstmörder gesehen hatte. Der Oberst behielt den Tagesbefehl jedoch für sich. Im Augenblick des Todes verbot es sich zu scherzen. »Zum Schluss möchte ich noch einmal betonen, dass niemand gezwungen ist, uns in den Tod zu folgen. Ich bitte jeden von euch, noch einmal in aller Ruhe sein Schicksal zu überdenken. Die Tür des Busses ist offen, jedem steht es frei, sie zu benutzen. Das Leben geht draußen weiter.«
Dem letzten Appell des Oberst folgte betretenes Schweigen. Die Selbstmörder sahen einander verwirrt an. Hatte vielleicht doch jemand vorgehabt, auszustei gen und am Leben zu bleiben? Doch niemand erhob sich, alle blieben auf ihren Plätzen.
Der Oberst setzte sich neben Helena Puusaari. Sie drückte seine Hand. Durchs Fenster hinaus schauten sie auf das weite Meer. Einen Kilometer weiter vorn standen Uula Lismanki und Seppo Sorjonen am Rand des windigen Abhangs. Uula machte auffordernde Handzeichen.
Rauno Korpela trat aufs Gaspedal und löste die Handbremse. Er legte den Gang ein. Der Motor kam auf Touren, der Zeiger schwenkte in den roten Bereich. Korpela ließ langsam die Kupplung los. Der Bus begann zu vibrieren wie ein schwer beladener Bomber, der am Ende der Startbahn seine Motoren hochfährt, um aufzu steigen.
Korpela gab Gas. Mit der wütenden Kraft von vier hundert PS raste der Luxusbus mit dampfenden Reifen los.
Die Nadel des Tachometers schnellte hoch, die Land straße flitzte unter den Rädern dahin, der Abhang nä herte sich mit erschreckender Geschwindigkeit. Korpela drückte auf die Hupe, die ganze Umgebung hallte und dröhnte, eine schwarze Abgaswolke stob in den Wind. Das Fahrzeug raste schneller als je zuvor. Das eisige Grab des Eismeers wartete.
Plötzlich flammte die rote Lampe oben in der Fahrer kabine auf, und zahlreiche schrille Tonsignale waren zu hören. Das Notlicht begann zu blinken, viele lebenswilli ge Hände reckten sich hoch, um den Halteknopf zu drücken. Korpela stemmte den Fuß auf die Bremse, der Bus bäumte sich auf, die Reisenden wurden von ihren Sitzen geschleudert, die Reifen begannen von der Wucht der Vollbremsung zu qualmen. Das Eismeer näherte sich, Lismankis und Sorjonens verdutzte Gesichter sausten vorbei. Das stählerne Schutzgeländer tauchte vor dem Bus auf. Am Rand des Abhangs riss Korpela mit aller Kraft das Lenkrad herum und konnte im letz ten Moment sein Fahrzeug seitlich auf die Straße manö vrieren. Der Bus neigte sich bedrohlich wie ein Schiff in Seenot, an den Fenstern huschte für einen flüchtigen Moment dunkel und schrecklich das lauernde Eismeer vorbei. Der Bus schlitterte hundert Meter am Rand des Abhangs entlang, schließlich blieb er stehen. Die Hy draulik des Fahrzeugs
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