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Der Wunsch des Re

Der Wunsch des Re

Titel: Der Wunsch des Re Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Dietrich
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sie bunt zu dekorieren. Schon bald würde auch dieser Gang fertig sein.
    Meritusir blieb stehen und betrachtete im Schein ihrer Öllampe die wundervollen Hieroglyphen und Darstellungen der Götter und des Königs, als ein Krampf ihren Unterleib zusammenzog. Unter Stöhnen krümmte sie sich und stützte sich mit der rechten Hand an der Felswand ab. Ein erneuter Krampf folgte, und die Schriftzeichen begannen vor ihren Augen zu tanzen.
    Jetzt bloß nicht schlapp machen!, dachte sie und nahm alle Kraft zusammen. Du bist hier ganz allein. Den Getreuen ist es verboten, das Innere des Grabes zu betreten.
    Mühselig richtete sie sich wieder auf. Die Öllampe war ihr aus der Hand gefallen und auf dem felsigen Untergrund zerschellt. Das Öl hatte sich auf dem Fußboden verteilt und war an die Holzgerüste der Steinmetze geflossen.
    Mit weit aufgerissenen Augen nahm Meritusir wahr, dass die ersten Flammen züngelten und größer wurden. Ihr Gesicht war vor Panik und Schmerz verzerrt.
    »Theokrites, Hilfe!«, rief sie mit letzter Kraft. »Feuer!«
    Sie nahm ihre ganze Kraft zusammen und tastete sich an der Wand entlang in Richtung Ausgang. Bis jetzt hatten die Flammen nur den Fuß eines Gerüstes erfasst, aber unaufhörlich fraßen sie sich höher und höher.
    »Theokrites! – Soldaten! – Feuer!«, rief sie erneut. »Hört ihr mich denn nicht?« Tränen der Verzweiflung traten ihr in die Augen. Eine erneute Wehe erfasste ihren Körper und krümmte ihn zusammen. Schmerzgeplagt presste sie die Hände auf ihren Unterleib und begann wie ein Hund zu hecheln. »Bitte, Osiris und göttliche Isis«, betete sie inbrünstig, »helft mir und meinem Kind und verschont des Westliche Haus Seiner Majestät.« Sie richtete sich auf und schlurfte vorwärts, bis das Klatschen von Ledersohlen auf dem felsigen Boden an ihre Ohren drang.
    »Herrin, hast du gerufen?«, vernahm sie die besorgte Stimme des griechischen Getreuen. »Wo bist du? Bist du verletzt?« Theokrites’ massige Gestalt erschien im Zugang zum zweiten Korridor und blieb beim Anblick des Feuers wie angewurzelt stehen. »Was ist geschehen?« Verstört kam er auf die Priesterin zugeeilt, um sie zu stützen.
    »Es ist so weit. Mein Kind will das Licht der Welt erblicken.« Gequält lächelte Meritusir.
    Der Grieche nahm sie auf den Arm und trug sie geschwind zum Ausgang. Von Weitem schon befahl er seinen Männern, Tröge und Kannen mit Wasser zu holen, um das Feuer zu löschen, das sich allmählich auszubreiten begann.
    »Kein Wasser, Theokrites!«, hauchte Meritusir, deren Kräfte zu schwinden begannen. »Damit zerstört ihr die Malereien. Nehmt Sand! Davon liegt genug neben dem Tempel herum.«
    Der Getreue nickte und brüllte seine Befehle den Männern zu, die verständnislos ihrem Oberst und der Priesterin entgegenblickten.
    »Was glotzt ihr so blöde!«, herrschte er sie an.
    Die Soldaten erwachten aus ihrer Regungslosigkeit und stürzten los, um Sand zum Löschen zu holen, während der Grieche Meritusir zu ihrer Sänfte trug.
    Im Laufschritt begaben sich die Träger zu Amunhoteps Anwesen zurück.
     
    * * *
     
    Amunhotep war nicht zu Hause. Er hatte sich auf das Ostufer von Abydos begeben, um sich mit dem Aufseher der Königlichen Kornspeicher zu treffen.
    Im vergangenen Jahr war aufgrund der geringen Überschwemmung der Tauschwert für Getreide immens gestiegen, sodass sich die ärmere Bevölkerung das teure Korn kaum noch leisten konnte. Auch die diesjährige Ernte war schlecht ausgefallen. Ramses hatte befohlen, alles zu unternehmen, damit niemand im kommenden Jahr hungern musste. Amunhotep besprach mit dem königlichen Beamten vorsorgliche Maßnahmen, um Aussaat und Ernte effektiver zu gestalten, und traf gemeinsam mit ihm Entscheidungen, damit die Vorräte bis zur nächsten Ernte reichen würden. Als er jedoch von einem Diener über die bevorstehende Niederkunft seiner Gemahlin informiert wurde, entschuldigte er sich und kehrte augenblicklich in sein Haus zurück.
    Man hatte Meritusir in eine kleine Laube im Garten gebracht, wo sie ihr Kind zur Welt bringen sollte. Ihre Wehen kamen in immer kürzeren Abständen. Sie hockte in einem Gebärstuhl, und die anwesenden Frauen sowie Netnebu kümmerten sich liebevoll um sie. Im ganzen Raum waren Statuen der Göttin Thoeris, dem zwergengestaltigen Gott Bes sowie der Göttin Hathor aufgestellt worden, doch Meritusirs Blick hing nur an den Bildnissen des Osiris und seiner Gemahlin Isis, die dem Gebärstuhl gegenüber in einem

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