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Der Wunsch des Re

Der Wunsch des Re

Titel: Der Wunsch des Re Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Dietrich
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gelitten hatten und allmählich versandeten. Zu guter Letzt verrichteten die beiden Priester ihre Gebete an Amun, für den Osiris Hatschepsut dieses Heiligtum hatte errichten lassen. Meritusir vergaß dabei nicht, dem Ka dieser starken Frau ein Opfer zu bringen, die sich zwar angemaßt hatte, den Göttern gleich als Pharao über das Schwarze und das Rote Land zu herrschen, die aber Kemi sowohl Wohlstand als auch Frieden beschert hatte. Amunhotep hingegen weigerte sich, es zu tun. Nach seiner Meinung hatte eine Frau nichts auf dem Horusthron verloren.
    Als sie endlich wieder aus dem Tempel traten, befand sich die Sonnenbarke bereits im Sinken. Die westlichen Berge schienen in Flammen zu stehen, die ersten Schatten senkten sich über das Land. Ein weiterer unbeschwerter Tag neigte sich seinem Ende zu.
    Drei Tage später kehrten Meritusir und Amunhotep mit ihrer Dienerschaft nach Abydos zurück.

FÜNFUNDZWANZIG
     
     
     
     
     
     
     
    Die fünf letzten Tage des Jahres hatten begonnen. Die Arbeiten am Tempel Seiner Majestät ruhten.
    Meritusir begab sich in einer Sänfte und in Begleitung von Maiherperi noch einmal zur Baustelle am Fuße der westlichen Berge, um nach dem Rechten zu sehen. Sie war hochschwanger und erwartete jeden Tag ihre Niederkunft. Amunhotep hatte zwar ein mürrisches Gesicht gezogen, doch sie hatte ihren Kopf durchgesetzt.
    Die Arbeiten an der Säulenhalle waren abgeschlossen. Alle sechsundfünfzig Pfeiler waren gebaut, und die Steinmetze waren dabei, die heiligen Zeichen und Bilder im erhabenen Relief aus dem Gestein herauszumeißeln. Die Decke war bereits fertig. Sie war dunkelblau bemalt worden und mit goldenen Sternen übersät, zwischen denen die Götter in der Sonnenbarke dahinfuhren. Die hoch oben in der Außenmauer befindlichen Fenster mit ihrem Steingitter ließen nur spärliches Licht in diesen Teil des Tempels fallen. Es erweckte den Anschein, als befände man sich in einem riesigen steinernen Papyruswald, so dicht, dass Res göttliche Strahlen ihn kaum zu durchdringen vermochten.
    Ein Tempel war das Abbild der Welt, wie sie seit dem Anbeginn aller Zeiten existiert hatte. Er wurde stets auf einer schiefen Ebene gebaut, sodass sich das Allerheiligste auf dem höchsten Punkt befand. Die Fußböden stiegen kaum merklich an, wohingegen sich die Decken immer mehr absenkten, je tiefer man in das Heiligtum eindrang. Durch den Übergang vom gleißenden Sonnenlicht des Tempelhofs über das mystische Licht- und Schattenspiel des Säulensaals bis hin zum Dunkel des Naos wurde die Erhabenheit dieses heiligen Ortes immer deutlicher. Der Boden des Tempels symbolisierte die Erde, die Säulen die Vegetation, die bis hoch in den Himmel reichte, und die Decke stellte den Himmel dar. Der im Dunkeln befindliche Schrein der Gottheit jedoch war der Urhügel selbst, der sich am Anfang allen Seins aus den Fluten des Urozeans Nun erhoben hatte. Aus ihm war eine Lotosblüte entsprungen, die ihre Blütenblätter öffnete und den Sonnengott Re gebar.
    Im Tempel von Ramses VII. befanden sich in der Halle der Götter insgesamt sieben Kapellen: Eine für Amun-Re, den König der Götter. Eine für Horus, den Gott des Königtums. Eine weitere für Ptah, den Schöpfergott und Schutzpatron der Handwerker. Es gab eine für Thot, den Gott der Weisheit und der Schreiber. Auch Seth war nicht vergessen worden, der Gott der Zerstörung, des Donners und der Fremdländer, der dem Pharao bei seinem Sieg über die Feinde des Schwarzen Landes zur Seite gestanden hatte. Und natürlich war der Große Gott Osiris vertreten, der Herrscher über das Reich der Toten. Diese sechs Kapellen befanden sich rechts und links einer Halle, an deren Ende sich der eigentliche Naos befand, der die Statue des vergöttlichten Pharaos enthielt.
    Rechter Hand des Allerheiligsten führte ein schmaler Durchgang in das Schatzhaus. Links ging es in die Halle des Osiris mit einem separaten kleinen Heiligtum für die Göttin Isis und dem Zugang zur Grabstätte des Pharaos, das sich im Inneren des Felsmassivs unter dem Fußboden des Tempels befand.
    Sie hatten das Heiligtum erreicht.
    Meritusir stieg aus ihrer Sänfte und begab sich allein in das Innere des Tempels zum Eingang des Westlichen Hauses.
    Der Zugang und der erste absteigende Gang waren komplett fertiggestellt, der zweite Korridor bereits aus dem Gestein geschlagen und bis zur Hälfte geglättet. Die Steinmetze hatten begonnen, die Schriftzeichen herauszuarbeiten, und die Maler warteten darauf,

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