Der Wunsch des Re
daran halten würde.
»Richtig, Satra, so werden sie genannt«, riss er sie aus ihren Gedanken. »Am ersten Tag des Monats Thot, also dem ersten Monat der Überschwemmungszeit und somit des neuen Jahres, erscheint dann der Pharao mit seinem Gefolge, um dem Nilgott Hapi Opfergaben darzubringen. Es ist ein jährliches Ritual, dem seine Untertanen nacheifern. Auch sie opfern Brote und Kuchen, Gemüse, Früchte, Bier und Wein. Aber auch Blumen, Amulette, Weihrauch und Öl gehören dazu. Jeder so, wie es ihm sein Wohlstand erlaubt. Wie jedes Jahr hoffen wir, dass Hapi unsere Gebete erhört und den Nil anschwellen lässt, auf dass die ausgedörrte Erde wieder nass, schwarz und damit fruchtbar wird.«
Ob er weiß, dass das Anschwellen des Flusses andere Hintergründe hat?, schoss es Satra durch den Sinn, doch die göttliche Macht des Osiris verbot ihr, dieses Wissen mit Amunhotep zu teilen.
»Also gut«, meinte sie, »ein paar Tage ohne Arbeit tun sicher auch mir recht gut.«
Amunhotep zog fragend die Augenbrauen in die Höhe. »Das sollte nicht heißen, dass du ab heute faulenzen darfst. Deine täglichen Pflichten warten auch in diesen letzten fünf Tagen auf dich.«
* * *
Am Neujahrstag war der Thronsaal im thebanischen Palast bis auf den letzten Platz gefüllt. Auch Amunhotep war erschienen und mit ihm Satra, der er befahl, sich in eine Ecke am Eingang zurückzuziehen, damit sie niemandem im Wege stand. Vor allem schärfte er ihr ein, kein Aufsehen zu erregen. Es war nicht gerade üblich, dass eine zu lebenslanger Zwangsarbeit und Leibeigenschaft Verurteilte am Neujahrsempfang des Herrn der Beiden Länder teilnahm. Amunhotep hatte keine Ahnung, warum Ramses darauf bestanden hatte.
Nachdem Ramses auf seinem Thron Platz genommen und sich reihenweise die Vertreter der zweiundvierzig Gaue und der wichtigsten Tempel vor ihm in den Staub geworfen hatten, kamen die Abgesandten der tributpflichtigen Vasallen und Fremdländer mit ihren exotischen Geschenken für den Sohn des Re.
Die Zeremonie dauerte endlos lange, doch für Satra war das alles neu und unglaublich aufregend. Nie hätte sie es sich träumen lassen, das mit eigenen Augen zu sehen. Immerhin war ihr Rang in dieser Zeit der niederste, den man sich vorstellen konnte.
Sie hätte gerne den Thronsaal genauer betrachtet. Es waren aber so viele Gäste anwesend, dass sie gerade einmal das königliche Podest sehen konnte. Die Wand hinter dem kunstvollen Sitzmöbel zierte eine geflügelte Sonnenscheibe und die königlichen Kartuschen, die von den beiden Göttinnen des Oberen und des Unteren Königreiches, Nechbet und Uadjet, beschützt wurden. Die wuchtigen Pfeiler zeigten den Pharao in Begleitung der Götter oder beim Erschlagen der Feinde Kemis. Der Fußboden, so weit sie überhaupt von ihm etwas sehen konnte, war über und über mit gefangenen Libyern, Asiaten und Kuschiten dekoriert, sodass jeder nach Belieben auf ihnen herumtrampeln konnte.
Verstohlen lugte sie zu Ramses, der unbeweglich auf dem Horusthron saß, die Doppelkrone auf dem Kopf, Geißel und Krummstab in den Händen vor der Brust gekreuzt. Der Platz seiner Großen Königlichen Gemahlin war leer. Warum, das wusste Satra nicht. Dafür sah sie eine ihr unbekannte junge Frau zu seiner Linken, von der sie annahm, dass das seine Nebengemahlin sein musste. Auch jene ältere Frau war anwesend, die sie schon in Abydos neben Ramses gesehen hatte. Hori, des Pharaos ältester Sohn, saß auf den Stufen zu Füßen seines Vaters und verfolgte mit aufmerksamem Blick das bunte Treiben. Wesir Nehi und ihr Gebieter hatten sich rechts und links des Throns postiert und zeigten damit allen, dass sie das Vertrauen des Herrn der Beiden Länder genossen.
Als endlich der Aufzug der Abgesandten geendet hatte, war ein allgemeines Aufatmen zu hören, doch gleich darauf begann die Luft förmlich vor Neugierde und Spannung zu knistern. Ramses gedachte, ein paar hohe Posten neu zu besetzen, und niemand wusste, wen der Zorn des Herrschers treffen und wer von ihm mit hohen Ämtern geehrt werden würde.
Ramses ließ sich Zeit. Er übergab die Zeichen seiner Würde und Macht dem Obersten Hüter der königlichen Insignien. Anschließend legte er die Hände flach auf seinen golddurchwirkten Königsschurz und sah in die gespannten Gesichter der Anwesenden.
Die Höflinge, Beamten und Priester hielten die Luft an.
Zuerst wurde der Oberste Vorsteher der königlichen Bauarbeiten durch Nehi vor den Thron zitiert und seines Amtes
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