Der Wunsch des Re
Frau hinab. »Erhebe dich und gib mir deinen Armreif!«
Langsam hob Satra den Oberkörper, blieb aber mit gesenktem Kopf auf den Knien liegen. Wie betäubt versuchte sie mit zitternden Fingern, den kupfernen Reif von ihrem linken Arm abzustreifen, was ihr einige Mühe bereitete.
»Habe keine Angst«, raunte ihr Ramses zu.
Endlich hatte Satra es geschafft und reichte dem König den Reif mit dem Sperling in der Mitte.
Ramses nahm ihn in seine rechte Hand und drückte ihn zusammen. »Ich begnadige dich. Vom heutigen Tage an bist du wieder ein freier Mensch. Du kannst gehen, wohin du willst. Es wird dir aber auch nicht verwehrt werden, dich hier in Kemi niederzulassen.« Er machte eine Pause. »Du hast mir vor ein paar Tagen zu verstehen gegeben, dass du bereit bist, mir treu und ergeben zu dienen. Willst du das noch immer tun? Dann schwöre es mir hier vor den Augen und Ohren meinen Untertanen!«
Satra schluckte den Kloß in ihrer Kehle herunter und räusperte sich. »Ich schwöre, vom heutigen Tage an bis in alle Ewigkeit werde ich dir, Majestät, treu und ergeben dienen. Niemals werde ich die Hand gegen dich erheben oder etwas tun, das dir Schaden zufügen könnte. Ich gehöre dir mit meinem Wissen, Können und Leben bis ans Ende aller Zeiten.«
Ramses schmunzelte verstohlen. Ihm war nicht entgangen, dass das der abgewandelte Schwur war, den sie Osiris geleistet hatte.
»Ich nehme deinen Treueid entgegen. Als Zeichen meines Vertrauens, gewähre ich dir die Gunst, mir die Füße küssen zu dürfen.«
Erstauntes Gemurmel erfüllte den Saal, denn das war ein Zugeständnis, was nur sehr wenigen Untertanen gewährt wurde. Der Pharao war ein Gott, man durfte ihn nicht berühren. Nur wenigen Auserwählten wurde diese Ehre zuteil. Allein das Küssen des Bodens vor seinen Füßen war schon Auszeichnung genug – ihm die Füße küssen zu dürfen, kam einer göttlichen Gnade gleich! Aber nun durfte gerade das eine völlig unbedeutende Dienerin, die noch kurz zuvor zu Leibeigenschaft verurteilt gewesen war.
Wie betäubt beugte sich Satra vor und berührte mit ihren Lippen erst den rechten, dann den linken königlichen Fuß, um anschließend ihre Stirn auf Ramses’ Spann zu legen.
»Und noch etwas will ich dir geben«, sprach Ramses weiter. »Vom heutigen Tage an sollst du den Namen Meritusir tragen. Niemand soll dich je wieder mit einem anderen als diesem Namen anreden! Und nun erhebe dich, Meritusir. Nimm die Schriftrolle, die deine Begnadigung enthält, und gehe aus meinem Palast als freier Mensch!«
Satra, die fortan Meritusir gerufen werden sollte, was
Geliebt von Osiris
bedeutete, erhob sich, nahm den Papyrus aus den Händen des Königs und zog sich unter mehrmaligem Verneigen zurück. Sie spürte die fragenden und überraschten Blicke der Anwesenden, ihre Bewunderung, ihre Neugierde, aber auch ihren Neid.
Als sie endlich vor dem Thronsaal stand, wusste sie nicht, ob sie sich freuen sollte oder nicht. Es war einfach zu unglaublich, was ihr gerade widerfahren war. Sie war frei, konnte von nun an tun und lassen, was ihr gefiel. Sie kniff sich in den Arm, um sicher zu sein, dass sie nicht träumte, aber es war wahr.
Von Glücksgefühlen völlig überwältigt, hockte sie sich mit angezogenen Knien an eine Säule und beschloss, auf Amunhotep zu warten. Ihre Gedanken wirbelten derweil völlig durcheinander.
Sie war frei, keine Verurteilte mehr. Sie konnte gehen, wohin sie wollte, ohne zuvor irgendjemandes Erlaubnis einholen zu müssen. Sie musste für niemanden mehr den Buckel krumm machen oder nach dessen Pfeife tanzen ... Aber wollte sie das überhaupt? Wollte sie alles hinwerfen, was sie zusammen mit Amunhotep begonnen hatte? Zudem, wohin sollte sie denn gehen? Es gab niemanden in dieser Zeit, den sie kannte. Sie besaß keine Mittel, um sich ein eigenes Leben aufzubauen ...
Warum auch?
, meldete sich wieder einmal ungefragt die naseweise Stimme in ihrem Inneren zu Wort.
Es gefällt dir doch recht gut bei Amunhotep.
Meritusir ignorierte sie, denn der Neujahrsempfang des Pharaos schien beendet zu sein.
Fröhlich schwatzend kamen die ersten Gäste wieder aus dem Thronsaal spaziert. Kaum einer nahm Notiz von ihr.
Sie erhob sich, um nach Amunhotep Ausschau zu halten, konnte ihn aber nirgendwo erblicken. Da sie auch nicht den Wesir ausfindig machen konnte, schlussfolgerte sie, dass beide Männer zusammen mit dem König durch den seitlichen Eingang den Saal verlassen hatten, um sich in die Privatgemächer des Herrn
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