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Der Wunsch des Re

Der Wunsch des Re

Titel: Der Wunsch des Re Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Dietrich
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sodass kein Blatt mehr in den Bäumen und Sträuchern rauschte.
    Die Träger standen wie versteinert und wagten nicht einmal, mit den Augen zu blinzeln. Wie würde Amun-Re wohl entscheiden?
    Mit einem Mal wurde das Gewicht der Barke auf ihrer Heckseite unerträglich schwer. Die Priester beugten das Knie – die Götterbarke neigte sich nach hinten.
    Lautstarker Jubel brandete auf, doch der Pharao hob die Hand. Augenblicklich kehrte wieder Ruhe ein.
    »Großer Gott Amun-Re, Herr der Gerechtigkeit, der du den Schuldigen kennst, hat Prinzessin Bintanat einen Meineid geleistet?«
    Wieder war die Anspannung zum Greifen nahe, die sich über dem Platz vor dem Tempel von Opet-sut ausgebreitet hatte. Erneut waren alle Augenpaare gespannt auf die Priester gerichtet, die die Barke des Gottes geschultert hatten. Ein weiteres Mal wurde den Trägern ihr Gewicht zu schwer. Dieses Mal aber mussten die am Bug stehenden Priester vor der göttlichen Macht des Amun kapitulieren – die Barke neigte sich nach vorn.
    Der Gott hatte gesprochen.
    Ehrfürchtig verneigte sich Ramses. Sein Gesicht war wie versteinert und ließ keinerlei Regung erkennen, doch in seinem Innersten war er froh und betrübt zugleich. Sein Freund war gerettet, doch seine Halbschwester hatte sich einen Meineid zuschulden kommen lassen. Morgen würde er über sie richten müssen.
    Aus den Augenwinkeln bemerkte Ramses zwei junge Priester, die Bintanat wieder auf die Beine halfen Sie war nach der Antwort des Gottes ohnmächtig geworden. Sie nahmen sie in ihre Mitte und stützten sie, um sie in den angrenzenden Tempelbezirk zu bringen. Amunhotep hingegen, der, von zwei Soldaten flankiert, in vorderster Reihe stand, sah erleichtert aus und warf einen knappen Blick in Richtung der Prinzessin.
    Auf Ramses’ Zeichen hin begann sich der Zug neu zu formieren. Es war inzwischen brütend heiß geworden. Alle sehnten den Beginn der Prozession herbei, die sie an den Fluss hinunterbringen würde, wo Amuns Atem für Erfrischung sorgte.
    An der Spitze des Zugs stand der Bruder des Königs, Prinz Merenptah, der sich für diesen Anlass seine beste Uniform angezogen hatte. Ihm kam es zu, das Signal zum Aufbruch zu geben. Merenptah nickte dem Mann an seiner Seite zu, und dieser eröffnete mit einem Trommelwirbel die Prozession.
    Langsam setzte sich der Festzug in Bewegung und wurde von einer ausgelassen feiernden Menschenmenge begrüßt. Der Weg führte, von Sphingen gesäumt, hinunter zum Hafenbecken des Tempelbezirks. Dort wurden die Götterbarken auf Flussbarken verladen, die mit Blumen geschmückt waren und von denen bläuliche Weihrauchwölkchen in den tiefblauen Himmel stiegen.
    Ramses begab sich auf sein eigenes Schiff, das ihn im Tempelhafen erwartete.
    Isis war bereits an Bord. Als sie ihren Brudergemahl sah, bemerkte sie sofort, dass etwas vorgefallen sein musste. Zwar hatte Ramses seine bei solchen Anlässen übliche ausdruckslose Miene aufgesetzt, aber sie kannte ihn zu gut, als dass ihr sein verstörter Gemütszustand entgangen wäre.
    »Was ist passiert?«, fragte sie ihn, nachdem er sich neben sie gestellt hatte und ein kräftiger Trommelwirbel die Fahrt Richtung Süden eröffnete.
    »Ich habe mich soeben an das göttliche Orakel meines Vaters gewandt«, antwortete Ramses, ohne beim Sprechen groß die Lippen zu bewegen. »Ich wollte wissen, wer von beiden die Wahrheit gesprochen hat und wer gelogen.«
    Isis hielt die Luft an. Sie wusste, dass Ramses der Vorfall der versuchten Vergewaltigung seiner Halbschwester durch seinen Einzigen Freund sehr nahe gegangen war. Ihr war auch bekannt, dass Ramses eher gewillt gewesen war, Amunhotep zu glauben als Bintanat. Dennoch hatte er ihr nichts davon erzählt, dass er den Gott das Urteil fällen lassen wollte.
    Sie sah nach vorn zu den kleineren Booten, die das Prozessionsschiff des Pharaos hinaus auf den Nil manövrierten. Vor ihnen befand sich die wundervolle Barke des Amun-Re, das das prächtigste und mit einer Länge von einhundertdreißig Ellen auch das größte war. Sie bestand aus edlem Zedernholz und war bis zur Wasserlinie mit Gold beschlagen sowie am Bug und am Heck mit vergoldeten Widderköpfen verziert. In ihrer Mitte befand sich ein wundervoller Baldachin, unter dem die verhängte Statue des Gottes stand.
    »Wie ist Amuns Antwort ausgefallen?«, fragte sie und blickte aus den Augenwinkeln zu ihrem Gemahl.
    Ramses’ Antwort ging in der Begeisterung der Menschen unter.
    Beide Barken hatten wohlbehalten den Fluss erreicht

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