Der Wunsch des Re
Jahr in Theben in mein Haus und benahm sich entgegen jeglichen Anstandsregeln. Er wollte mit Meritusir reden, aber sie war nicht da. Bei deinem letzten Besuch in Abydos hat er ihr einen Heiratsantrag gemacht. Sie hat ihn abgewiesen.«
Interessiert hatte Ramses gelauscht und hob zum Schluss erstaunt die Augenbrauen. »Mein Onkel hat sie also endlich gefragt, und sie hat ihn verschmäht?« Belustigt schüttelte er den Kopf. »Es tut mir für Sethi leid. Nun sieht er mal, dass ihm doch nicht alle Frauen zu Füßen liegen.« Er nahm einen Schluck aus seinem Becher. »Hat sie gesagt, warum?«
»Meritusir sprach vorher mit mir und sagte, dass sie einen anderen Mann lieben würde.«
»Sie hat sich verliebt? In wen?«
»Das wollte sie mir nicht verraten, und ich bin auch nicht weiter in sie gedrungen. In jener Nacht aber, als mich deine Soldaten in eine Zelle sperrten, habe ich darüber nachgedacht. Ich weiß nicht, ob ich die richtigen Schlüsse gezogen habe, aber ...«, Amunhotep hatte seinen Becher in die Hand genommen und starrte verlegen in den Wein, »... mir ist etwas klar geworden, Ramses.« Er setzte ihn an den Mund und nahm einen Schluck. Dann wischte er sich über die Lippen und fügte hinzu: »Ich weiß jetzt, dass es auch für mich jemanden gibt, mit dem ich bis ans Ende aller Zeiten zusammenleben will.«
Ramses’ Gesicht hellte sich zusehends auf. Verschmitzt lächelnd stellte er fest: »Lass mich raten: Es ist Meritusir.«
»Ja, Ramses, sie ist genau die Frau, nach der ich mich immer gesehnt habe.«
»Ich freue mich für dich.« Ramses strahlte übers ganze Gesicht. »Hast du es ihr schon gesagt?«
»Wann denn?« Amunhotep zog ein langes Gesicht. »Ich hatte noch nicht die Gelegenheit dazu, und ich bete zu den Göttern, dass sie mir nicht die gleiche Antwort geben wird wie deinem Onkel.«
Entschieden schüttelte Ramses den Kopf. »Nein, mein Freund, ich glaube nicht, dass sie das tut.«
Sie saßen noch eine ganze Weile zusammen und plauderten. Zum Abschied bat Amunhotep um die Erlaubnis, Theben verlassen zu dürfen, um nach Abydos zurückzukehren – eine Erlaubnis, die ihm Ramses gerne gab.
ACHTZEHN
Das Gottesurteil, das für Amunhotep einen Freispruch gebracht hatte, wurde in den Priesterschaften des Landes mit Freude aufgenommen. Es hätte kein gutes Licht auf sie geworfen, wenn sich herausgestellt hätte, dass ein Hohepriester einer Frau Gewalt antun wollte. Veruntreuung und Machtmissbrauch waren zwar ebenso verwerflich, aber bei Weitem nicht so schlimm wie Vergewaltigung und Mord. Dennoch gab es ein paar Priester der oberen Ränge, die dem Ersten Propheten des Osiris sein Glück neideten, eine von einem Gott erwählte Dienerin zu haben, die nun in seinem Tempel Priesterin war.
Zu diesen Männern gehörte Ramose, der Hohepriester von Heliopolis und Erste Prophet des Großen Gottes Re, den man auch den Großen Sehenden nannte. Er war beinahe sechzig Jahre alt und diente seit seinem siebzehnten Lebensjahr im Tempel des Re. Sein Aufstieg war schnell und reibungslos verlaufen. Mit zweiunddreißig Jahren war er zum Dritten und sieben Jahre später zum Zweiten Propheten des Gottes berufen worden. Weitere fünf Jahre später, im Alter von vierundvierzig, hatte er schließlich das Amt des Hohepriesters übertragen bekommen, das er seitdem ohne Fehl und Tadel ausübte.
»Den Göttern sei Dank«, meinte Nacht, der Zweite Prophet des Re. »Es ist allerdings schon recht ungewöhnlich, dass sich Ramses an das Amun-Orakel gewandt hat. Immerhin soll seine Schwester einen Eid geleistet haben, unschuldig zu sein.«
»Das hat auch Amunhotep«, merkte Ramose an.
»Richtig, aber der Schwur des Opfers hat normalerweise mehr Gewicht als der des Täters.«
»Des vermeintlichen Täters«, stellte Ramose schmunzelnd klar. »Ich denke, Ramses ist über all die Jahre nicht entgangen, dass Prinzessin Bintanat hinter Amunhotep her war wie der Fuchs hinter den Hühnern.« Er grinste anzüglich.
»Das könnte der Grund für die Orakelbefragung gewesen sein«, gab Nacht dem Hohepriester recht. »Was geht eigentlich in Abydos vor?«, wechselte er das Thema. »Seit ein paar Monaten häufen sich die Gerüchte, dass es beim Bau von Ramses’ Tempel geheime Bautätigkeiten geben soll.«
»Davon habe ich ebenfalls gehört, doch wer weiß, ob daran überhaupt etwas Wahres ist«, wiegelte Ramose ab. Tunlichst verschwieg er, dass er, nachdem ihm diese Gerüchte zu Ohren gekommen waren, einen
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