Der Wunschtraummann
auflöst.
Kein Scherz, ich sehe nicht ein einziges gelbes Licht. Dafür aber überall Mädels mit todschicken Cocktailkleidern und falscher Sonnenbräune. Zitternd versuchen sie sich vor der Kälte zu schützen und gleichzeitig erfolglos ein Taxi heranzuwinken, das sie zu ihrer Party bringt, ehe es a) Mitternacht schlägt, sie b) erfrieren oder c) beides passiert. Ganz ehrlich, da draußen ist die Hölle los.
Weshalb ich auch heilfroh bin, gemütlich zu Hause bleiben zu können, denke ich lächelnd, so behaglich wie eine Katze in der Sonne. Ich wende mich ab vom Fenster und der Szene auf der Straße.
Es ist Silvester, und ich bin in meiner Wohnung und habe die Heizung voll aufgedreht, sodass ich mir vorkomme wie auf den Bahamas. Nach Weihnachten mit Mum und Dad und dem unablässigen Gebrabbel meines kleinen Bruders, der nach seinem Auszeitjahr wieder zurückgekommen ist und alle fünf Minuten sagt: »Kaum zu glauben, aber vor einem Jahr um diese Zeit haben wir alle noch am Bondi Beach gesessen«, habe ich beschlossen, die Katze aus dem Sack zu lassen und zu gestehen, dass ich Silvester nicht ausstehen kann.
Mum war etwas entsetzt. Sie konnte einfach nicht verstehen, warum ihre Tochter lieber nach London zurückfahren und den Silvesterabend mutterseelenallein in ihrer kleinen Wohnung verbringen wollte, wo sie doch genauso gut mit ihnen im Gemeindesaal feiern könnte, »mit Disco und allem Pipapo«. Aber nach dem Desaster vom Vorjahr habe ich mir geschworen, dieses Jahr keine faulen Kompromisse zu machen. Sprich: keine blöden Partys mehr, keine nervigen Kämpfe um ein Taxi und kein krampfhaftes Bemühen, so zu tun, als würde ich mich königlich amüsieren, wo ich doch eigentlich lieber im Pyjama auf der Couch sitzen will.
Und darum habe ich auch sämtliche Party-Einladungen ausgeschlagen, um den Abend allein mit Flea zu verbringen, dazu eine Flasche Cava zu trinken, eine Pizza zu essen und mir den neuen Johnny-Depp-Film auf DVD anzuschauen. Und das alles im Pyjama. Ich freue mich schon.
Und außerdem kann ich so in Ruhe das vergangene Jahr Revue passieren lassen – und glauben Sie mir, das war vielleicht ein Jahr!
Seit Fiona vor mehreren Monaten diesen Anruf von Super Chic bekommen hat, ging hier alles drunter und drüber. Aus meiner Bastelei an der alten Nähmaschine meines Opas ist ein eigenes kleines Unternehmen geworden, das inzwischen mehrere Angestellte beschäftigt (darunter auch meinen Opa, der neuerdings Kreativberater ist) und hunderte Taschen produziert. Ich habe ein eigenes Logo und eine Webseite, die Ali für mich eingerichtet hat, und wir können uns kaum retten vor Bestellungen. Wir kommen fast nicht mehr hinterher. Und es gibt so viele neue Designs und Stoffe, und ich platze schier vor neuen Ideen …
Ich muss mich bremsen, sonst finde ich gar kein Ende mehr. So bin ich nun mal. Manchmal muss ich mich zwicken, wenn ich nur daran denke. Für mich ist wirklich ein Traum in Erfüllung gegangen.
Und noch mehr hat sich verändert. Mein Blick fällt auf das Bild auf dem Kaminsims. Es ist ein Foto von Fiona und Sir Richard an ihrem Hochzeitstag, mit Tallulah und Monty, die Blumen am Halsband tragen. Sie haben im Sommer auf dem Stammsitz seiner Familie in Schottland geheiratet, und er trägt einen Kilt, während Fiona sich ihren Kindheitstraum erfüllt und das Brautkleid ihrer Großmutter getragen hat. Früher hat es ihr wohl nie so recht passen wollen, aber seit sie Sir Richard kennt, trägt sie zwei Kleidergrößen kleiner. Wobei ihm ihr Gewicht völlig schnuppe ist. Vermutlich ist das auch der Grund dafür. Kaum spielte ihr Gewicht keine Rolle mehr, schmolzen die Pfunde.
Nun ja, zumindest bis sie kürzlich wieder ein bisschen zugelegt hat. Aber das aus gutem Grund: Fiona ist im vierten Monat schwanger. Verzeihung, ich meinte natürlich Lady Blackstock. Himmel, ich kann es noch immer kaum glauben. Fiona ist jetzt eine Lady! Weshalb sie nicht nur ihre Stilettos gegen Wellington-Gummistiefel eingetauscht hat und jetzt auf dem Land lebt. Nein, ich habe auch ihre ganze Wohnung gemietet – na ja, warum hätte ich auch ausziehen sollen? Flea gefällt es hier, und außerdem habe ich mir in Fionas altem Zimmer ein Atelier eingerichtet.
Aber Fiona ist nicht die einzige glücklich Verliebte. Auch mein Opa und Cécilie sind mittlerweile unzertrennlich, auch wenn ihre Liebe womöglich etwas anderer Natur ist. Sein Herz gehört meiner Nan, und daran wird sich auch nichts ändern, doch in Cécilie hat er
Weitere Kostenlose Bücher