Der Wunschzettel - Be Careful What You Wish For
schöne Frau.« Victor Maxfield spricht in der Gegenwartsform von ihr.
»Ich weiß«, stimme ich zu. Weil sie auf dem Foto am Leben ist.
Schweigend betrachten wir das Foto. »Tja, Ihre Mappe hat mir wirklich sehr gut gefallen«, sagt er schließlich, setzt sich auf seinem Stuhl zurück, rollt die Hemdsärmel herunter, schließt die Manschettenknöpfe und sieht mich nachdenklich an. »Haben Sie noch fünf Minuten Zeit? Ich würde Sie gern mit unserer Bildredakteurin bekannt machen.«
»Natürlich.« Was für eine Frage.
Er greift nach dem Hörer und drückt eine Taste. Die Person am anderen Ende hebt sofort ab. »Yvonne? Hi, hier ist Victor. Haben Sie Zeit? Ich habe hier eine Fotografin, die Sie kennen lernen sollten.« Ohne ihre Antwort abzuwarten, legt er mit der Selbstsicherheit eines Mannes auf, für den Fragen eine rein rhetorische Angelegenheit sind.
»Tja, das hätten wir.« Offenbar hochzufrieden steht er auf und kommt hinter seinem Schreibtisch hervor. Ich nehme es als Stichwort, erhebe mich ebenfalls und ergreife seine ausgestreckte Hand. »Heather, es war mir ein Vergnügen, Sie kennen zu lernen.«
Das war’s also. Das Vorstellungsgespräch ist vorbei. »Mir auch«, sage ich und schüttle seine Hand mit einer Mischung aus Erleichterung und Traurigkeit, dass ich meinem großen Traum vielleicht nie näher kommen werde als in diesem Augenblick.
Wir werden von einem Klopfen an der Tür unterbrochen, ehe eine Frau mit lockigem Haar und langen Hängeohrringen den Kopf hereinstreckt.
»Ah, Yvonne, das ist Heather, die Fotografin, von der ich Ihnen erzählt habe.«
Ein energiegeladenes Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus, ehe sie das Zimmer betritt. »Hi«, sagt sie, packt meine Hand und schüttelt sie kräftig, dann schlüpft sie wieder hinaus. »Hier entlang«, sagt sie.
Ich nehme meine Mappe und werfe noch einen Blick zu Victor Maxfield, der mit verschränkten Armen dasteht und mich eingehend mustert, als wäre er tief in Gedanken versunken. Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Ich bin mir nicht sicher und nehme mir vor, es in einem meiner Ratgeberbücher nachzuschlagen.
KAPITEL 35
Yvonne erweist sich als ein wenig beängstigend, aber nett. Resolut führt sie mich um den Fototisch herum, stellt mich ihrer Assistentin vor, deren Namen ich sofort wieder vergesse, flirtet auf reichlich aggressive Art mit einem freien Fotografen, der auf der Suche nach Arbeit ist (»Man sollte seine Macht ruhig ab und zu ein wenig missbrauchen«, erklärt sie mir, nachdem sie ihm einen Auftrag erteilt hat), dann begleitet sie mich zum Aufzug und verschwindet mit den Worten, sie müsse »jetzt eine rauchen«.
Die ganze Fahrt zur Arbeit denke ich über sie nach. Na ja, nicht über Yvonne im Speziellen, sondern im Zusammenhang mit dem Sunday Herald, mit Victor Maxfield und meinem Vorstellungsgespräch. Aufregung erfasst mich. Wenn ich diesen Job bekomme, wird sich mein ganzes Leben verändern. Ich schließe die Augen und gebe mich meinem Tagtraum hin, bis mich die Piccadilly Line von meiner Reise in die Zukunft in die Gegenwart zurückholt.
Als ich ins Büro komme, stelle ich zu meiner Überraschung fest, dass es noch verschlossen ist. Wo ist Brian? Ich sehe auf die Uhr - es ist fast elf. Verwirrt schließe ich auf, schalte die Alarmanlage aus und ziehe die Jalousien hoch. Sonnenstrahlen fallen ins Büro und lassen die Staubpartikel in der Luft tanzen, während ich die Post von der Fußmatte aufhebe und zum Tresen trage.
Wie üblich sind es meist Rechnungen, doch während wir uns vor ein paar Wochen noch keinerlei Hoffnungen gemacht haben, sie jemals bezahlen zu können, brauchen wir uns nun dank Lady Charlottes Hochzeit deswegen keine grauen Haare mehr wachsen zu lassen. Was toll ist, sinniere ich, gehe in die kleine Küche und mache mir einen Kaffee. Aber nicht ganz so toll für mich. Beim Gedanken daran, dass der Tag immer näher kommt, spüre ich, wie sich mein Magen verkrampft.
Ich schiebe den Gedanken beiseite und löffle Nescafé in meinen Becher, als ich die elektronische Klingel der Eingangstür höre. Das muss Brian sein. »Weißt du überhaupt, wie spät es ist?«, rufe ich.
»Entschuldigung?«
Ich spähe um die Ecke, und das Grinsen friert auf meinem Gesicht fest. Es ist nicht Brian, sondern eine spindeldürre Blondine. Mit einem verdächtig üppigen Dekollete. Sie kommt auf mich zugestakst, wobei ihre Absätze laut auf dem Laminatboden klappern. »Ich suche Brian Williams«, erklärt
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