Der Zauber der Casati
Kopf, so, als sei ihr die Tür zu niedrig.» Ich sehe diese Bewegung derart plastisch vor mir, dass ich mich frage, ob ich sie nicht kannte, bevor meine Recherchen sie mir bewiesen. Neulich las ich, die Casati habe einen klangvollen Alt gehabt, und mir wurde klar, dass ich sie mir ohnehin immer mit einer tiefen, fast kratzigen Stimme vorgestellt hatte, dazu ein sardonisches Lachen. Sie bat Man Ray, sie in ihrem Salon zu fotografieren, denn sie wollte von ihren Lieblingsgegenständen umgeben sein. Egal, an welchen Künstler sie sich wandte, Luisa musste die Szenerie bestimmen. Sie war keine passive Auftraggeberin, sondern mischte sich in alles ein, bis zum Perfektionismus detailbesessen, von Kontrollbedürfnis durchdrungen. Das Werk sollte nicht ohne sie entstehen.
«Sie empfing mich in einem seidenen Morgenrock, die gefärbten Haare in Unordnung, aber die großen Augen sorgfältig geschminkt.» Der Raum stand voll erlesener Kleinigkeiten. Auf einem Beistelltisch ihre jüngste Erwerbung, ein Blumenstrauß aus Jade und Edelsteinen. Man Ray richtete sich ein. Als er seine Lampen anschaltete, sprangen die Sicherungen heraus. Der Concierge kam sie ersetzen, aber der Fotograf fürchtete, sie würden gleich wieder durchbrennen, und beschloss, es beim natürlichen Licht zu belassen, was allerdings eine längere Belichtungszeit erforderte. Er bat Luisa, ganz reglos dazusitzen. «Es war anstrengend – die Dame führte sich auf, als würde ich mit ihr einen Film drehen.»
War sie nervös? Hatte sie gekokst? Ich glaube nicht. Im Lauf der vergangenen zwanzig Jahre hatte die Casati mehr als einhundert Malern, Bildhauern und Fotografen Modell gestanden. Diese Sitzungen waren ihr intimes Spektakel, das sie perfekt beherrschte. Bei sich zu Hause entwickelte Man Ray die Negative und sah den Versuch als gescheitert an. Sie hatte sich zu viel bewegt, die Aufnahmen waren verwackelt.
Als Luisa ihn einige Tage darauf anrief, meinte er, die Fotos taugten nichts. Luisa allerdings hatte eine hohe Meinung von sich selbst; zwar verstand sie nichts von Brennpunkten und Mehrfachbelichtungen, war aber überzeugt, dass kein einziges Foto, das sie zeigte, es verdiente, im Mülleimer zu landen. Sie wollte von den Argumenten des Künstlers nichts wissen, sondern verlangte die Aufnahmen zu sehen, so verwackelt und missraten sie auch seien. So war es stets: Die Marchesa Casati war die Einzige, die entscheiden durfte, und Widerworte ertrug sie nicht. Wie alle vor ihm gab auch Man Ray nach.
«Ich machte ein paar Abzüge, auf denen so etwas wie ein Gesicht zu erkennen war – darunter ein Bild mit drei Augenpaaren. Man hätte es für eine surrealistische Version der Medusa halten können. Gerade dieses Bild entzückte sie. Ich hätte ein Porträt ihrer Seele geschaffen, meinte sie, und bestellte Dutzende von Abzügen. Ich wünschte, andere Kunden wären ebenso leicht zufriedenzustellen gewesen. Das Bild der Marquise machte in Paris die Runde. Es kamen immer mehr Kunden – Angehörige der exklusiveren Kreise, und alle erwarteten Wunder von mir. Ich musste mein Hotelzimmer aufgeben und mir ein richtiges Atelier suchen.»
Wieder einmal war Luisa, da sie keine Muse sein konnte, Mäzenin, eine großzügige und begeisterte Dame von Welt, die ihren Geldbeutel und ihr Adressbuch gern öffnete. Künstler lancieren, das Schöne dort entdecken, wo andere nur Flecken sahen. Und in Vergessenheit geraten. Dieses Foto nämlich ist heute berühmt, wer aber kennt noch den Namen der mysteriösen sechsäugigen Frau?
I m Jahre 1923 beschloss Luisa, sich endgültig in Frankreich niederzulassen. Sie erwarb ein in Le Vésinet, kurz vor den westlichen Stadttoren gelegenes Schlösschen, eine recht getreue Kopie des Grand Trianon von Versailles, freilich in geringerem Maßstab. Dieser «Palais rose» war der letzte Wohnsitz des 1921 verstorbenen Robert de Montesquiou gewesen, der, als er das Haus zum ersten Mal sah, gerufen haben soll: «Wenn dieses Haus, das nicht zum Verkauf steht und das zu erwerben ich angesichts meiner bescheidenen Mittel wohl kaum imstande sein dürfte, wenn dieses unglaubliche, unvorstellbare Haus, das doch real ist, mir nicht schon morgen gehört, so muss ich sterben!» Damals musste man, um von Paris nach Le Vésinet zu gelangen, Wiesen und Felder durchqueren. Sein pointierter Geist und seine spitze Zunge hatten Montesquiou zu einem gefürchteten Gesellschaftslöwen gemacht, und sein Rückzug in den Palais rose war wohlkalkuliert und bedacht
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