Der Zauber der Casati
dieses Dandys, die Prinzessinnen und Baroninnen, mit denen er die Salons bevölkerte, der französische Chic, die geistreichen Bemerkungen, die verrückten Jahre, die Bälle und die umständlichen Figuren des Kotillons, all das fällt seinerseits zum Glück dem Vergessen anheim. Im selben Monat, im Juni 1924, wurde der sozialistische Abgeordnete Giacomo Matteotti ermordet, der laut vernehmbar die Methoden der Faschisten und den totalitären Charakter der Mussolini-Regierung gegeißelt hatte. Erst zwei Monate später wurde seine Leiche gefunden; sie hatten auf ihn eingestochen und ihn zu Tode geprügelt. Und daran sollte die Geschichte erinnern, daran, wie eine aufkommende Diktatur sich mit Schlagstöcken an die Macht prügelt, nicht daran, wie eine Handvoll Gesellschaftslöwen sich mit Verkleidungen die Zeit vertrieb.
A ls ihr Vermögensverwalter, Lorenzo Saracchi, ihr empfahl, die Wohnstätte ihrer Eltern in Monza, die Villa Amalia und auch ihre Villa in Rom zu verkaufen, zuckte Luisa mit keiner Wimper. Va bene. Nach Rom wollte sie sowieso nicht zurück, und die Wände der Villa Amalia dünsteten die Tristesse ihrer Kindheit aus. Er fügte hinzu, auch die Anteile an der väterlichen Baumwollspinnerei in Pordenone werde sie womöglich veräußern müssen. Dieser Besitz war immer die Quelle steter Einkünfte gewesen. Luisa versuchte, ihren Vater vor sich zu sehen, den pomadisierten Schnurrbart, das starre, strenge Gesicht. Nein, sie hatte alles ausgelöscht. Va bene. Beim Palazzo dei Leoni in Venedig aber sträubte sie sich. Sie würde ihren Freund D’Annunzio anrufen, gemeinsam werde ihnen schon etwas einfallen. Sie unterschrieb die Papiere, die Saracchi ihr hinhielt. Jetzt war sie wieder reich.
Das Weihnachtsfest 1923 verbrachte Luisa bei Gabriele D’Annunzio im Vittoriale, seinem unglaublichen Rückzugsort am Gardasee. Im goldrot lackierten Speisesaal wurde auf chinesischen Porzellantellern ein Festmahl serviert. Crostini mit Sardellen und Kapern, kleine Aalpastetchen, knusprig überbackene Polenta. Mitten auf dem Tisch stand dampfend eine silbergoldene Suppenschüssel mit grüner Tortellini-Suppe. Die beiden Freunde kosteten Kürbisküchlein und Morcheltartelettes als Beilage zu einem mit Trüffeln gebratenen Kapaun, dessen Duft den Raum schwängerte. Ein friedlicher Moment gemeinsamer Freude. Luisa versuchte Gabriele für die Rettung des Palazzo dei Leoni zu gewinnen. Er nahm ihre Hand mit größtmöglicher Zartheit in seine und sagte, er könne ihr leider nicht helfen. Die Zeiten hätten sich geändert. Voller Melancholie meinte er, ihre besten Zeiten seien vorbei, sie beide müssten sich auf eine weniger verschwenderische Zukunft einrichten. Sie beharrte nicht weiter darauf. Zum Trost beschworen sie ihre Liebesnächte in der Gondel herauf. Dann gingen sie in den Salon und setzten sich an den Kamin. Luisa tunkte Stücke eines exquisiten Panettones in ihr Glas mit handwarmem Amaretto. Gabriele rezitierte Gedichte von Lord Byron und improvisierte schlüpfrige Verse, bei denen sie sich vor Lachen ausschüttete. Wie sehr liebte sie doch den lebhaften, exaltierten Esprit dieses Mannes! Irgendwann schwiegen sie, den Blick auf das langsam herunterbrennende Feuer im Kamin gerichtet. Die rot schimmernde Glut in der Dunkelheit und das letzte Knistern des brennenden Holzes brachten sie erneut zum Lachen.
1924 wurde die finanzielle Trennung von Camillo besiegelt. In Wahrheit hatte Camillo die Prozedur vorangetrieben, als ihm klarwurde, in welchem Maße sie die Finanzen überstrapazierte. Ihre gemeinsame Tochter Cristina, voller Illusionen und der Meinung, sie könne dem Familienmuster entgehen, heiratete im Jahr darauf. Sie brach ihr Studium der Englischen Literatur in Oxford ab und folgte fortan Francis John Clarence Westenra Plantagenet, Viscount of Hastings. Diese zwei vierundzwanzigjährigen Turteltäubchen, beide mit einem silbernen Löffel im Mund geboren, waren jetzt glühende Kommunisten. Die Zeitungen zogen darüber her, umso mehr, als die englische Familie über die Extravaganzen der italienischen Schwiegermutter deutlich not amused war. Der junge Hastings war Maler. Die Jungvermählten flogen gen Australien, Mexiko und in die Südsee. Wie Luisa wohl die Neuigkeit erfuhr – durch einen Brief ihrer Tochter, oder las sie davon in den Gesellschaftsnachrichten des Figaro ? Idiota. Es gibt keinerlei Überreste von einer Korrespondenz zwischen Mutter und Tochter, was niemanden erstaunen wird. Ich persönlich
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