Der Zauber der Casati
zerbrechlich» sein müsse. Dabei war Luisas Liebe weder männlich noch weiblich, sondern einfach die verzweifelte Dankbarkeit derer, die liebt und zum ersten Mal wiedergeliebt wird. Suchte Romaine womöglich eine Liebesfreundschaft nach dem Modell, wie sie es mit Natalie Barney lebte; wusste Luisa sich ihr vielleicht nicht begreiflich zu machen? Unter Tränen und Schreien trennten die beiden Frauen sich.
Drei Wochen darauf wandelten sie wieder Hand in Hand unter der Sonne von Capri. Wie war das möglich? Wer hatte den ersten Schritt getan? Wer nachgegeben? Es war Juli 1921, und Luisa war glücklicher denn je. Sie genoss die Ruhe nach dem Sturm, war so voller Hoffnung, wie nur Neuanfänge es erlauben, sie genoss das Glück umso mehr, als sie erlebt hatte, wie grausam sein Verlust war. Von Dankbarkeit durchdrungen, schwor sie sich, dass sie aus ihren Fehlern gelernt hatte. Doch tief drinnen spürte sie, dass etwas kaputtgegangen war, dass es die Möglichkeit gab, nicht mehr zusammen zu sein. Schon versagte sie sich die Sprache des «für immer». Einen Monat später reiste Natalie Barney an. Wie reagierte Luisa, sie, die immer die Geliebten ihrer Liebhaber verdrängt hatte? Sie war intelligent genug, um rasch zu begreifen, dass die beiden Frauen eine zärtliche Liebe füreinander empfanden, meilenweit entfernt von der Leidenschaft, die sie mit Romaine erlebte. Trotzdem konnte sie nicht umhin, Szenen zu machen, sie ertrug die Nähe zwischen Romaine und Natalie nicht. Sie wollte Romaine ganz und gar für sich. Und verlor sie auf diese Weise ganz und gar. Luisa verließ Capri mit zerrissenem Herzen und kehrte nie wieder dorthin zurück.
Das diabolische Porträt ließ sie zurück. Als sie es in der Verzückung der ersten Liebestage bezahlen wollte, hatte Romaine das ausgeschlagen. Geschmeichelt hatte Luisa gelacht. Dass einmal ein Maler es tatsächlich nicht auf ihr Geld abgesehen hatte … Lange nach ihrem Bruch traten andere Kaufwillige auf, doch die Malerin wies ihre Angebote ab. Das riesige Gemälde thronte in ihrem Atelier, dann war es eines Tages verschwunden. Romaine Brooks starb mit sechsundneunzig Jahren, und unter dem Bett der alten Frau, die ein paar Jahre zuvor all ihre Werke weggegeben, einem Museum vermacht hatte, fand man zusammengerollt eine Leinwand mit dem Bildnis einer nackten Frau mit rotem Haar. Das einzige Porträt der Marchesa Casati, das von Liebe inspiriert war.
Luisa kehrte nach Paris zurück. Eifrig sorgte das Personal des Ritz, dem ihre Bedürfnisse mittlerweile bekannt waren, für Nachschub an Mäusen, Fröschen und niedlichen Häschen als Futter für Anaxaragus und seine Genossen. Wieder einmal änderte sich die Mode. In der Vogue und in Modes sah man kleine, nette Frauchen erblühen, den Rock bis zum Knie, das Haar unter dem glockenförmigen Hut hervorquellend. In den Zeitschriften wurde erläutert, wie man für wenig Geld ein Kleid schneidern konnte, und die großen Modehäuser schlossen eines nach dem anderen. Bald sollte die Wirtschaftskrise durchschlagen, dann gab es keinen Platz mehr für Papageien, Affen, diamantenbestickte Roben und Feste aus Tausendundeiner Nacht. Als Königin auf dem Dach einer zerbröselnden Welt schloss Luisa weiterhin Freundschaften überm Champagnerkelch und nahm ihr mondänes Leben wieder auf. Sie hatte Bewunderer in Paris und auch noch ein paar Freunde, darunter Augustus John. Es ist ja leichter, in gutem Einvernehmen zu bleiben, wenn es keine Liebe gegeben hat. Eine obskure Fußnote in einem zerlesenen Buch behauptet wie eine mondäne Anekdote, zu jener Zeit sei ein gewisser Marquis Don Ranieri Bourbon del Monte der berühmten Marchesa Casati wie ein Schoßhündchen gefolgt und habe ihre ausgefallensten Befehle ausgeführt. Ich denke, das wird sie eine Zeitlang amüsiert haben, doch wahrscheinlich fühlte Luisa sich bald einsamer denn je. Sie musste sich betäuben, sich ablenken von dem Gedanken an den zu Hause in Italien aufkommenden Faschismus, an das verstümmelte Europa, das sich vom Krieg nicht recht erholt hatte, musste versuchen, das Grummeln und Klagen nicht zu hören, das ringsum immer lauter wurde. So sieht die Casati nicht, dass sie zu einer vergehenden Welt gehört, dass ihr Vermögen nicht mehr ist, was es einmal war. All diese Ausgaben, ihre Reisen, Kunstwerke, Feste, Stoffe, Juwelen treiben sie in den Ruin. Sie verschließt die Augen, sie will sich amüsieren, sie wirft sich ins Vergnügen, ein letztes Mal.
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